Im Land der Freien
Sozialismus war Amerika wahrhaftig der höllischste Platz, den er sich aussuchen konnte.
Wir fahren ins Hunmura , ein Restaurant im Süden Manhattans, das feine japanische Küche bietet. Ich weiß bereits im Taxi, dass Masazumi sein Ehrenwort brechen und mich nicht zahlen lassen wird. Aber ich kenne noch nicht den Grund, den er diesmal erfinden wird. Zwei Stunden später stellt sich heraus: Er sei hier bekannt, lauter Japaner, und er verlöre für immer sein Gesicht, wenn er sich von einem Nicht-Japaner einladen ließe.
Der Westen hat Spuren in ihm hinterlassen. Nicht asiatisch scheu, mit Mut zieht er Bilanz, spricht genau das aus, was er seit Jahren fühlt. Ich weiß, dass er wieder geheiratet hat. Amanda, eine Kolumbianerin. » A good wife «, sagt er und fängt an, von seiner Mutlosigkeit zu erzählen: »Wer viel riskiert, der wird viel gewinnen oder viel verlieren. Ein banaler Satz. An der Börse ist das nicht anders als im ganz normalen Leben. Deshalb entscheiden sich so viele für die Ehe, sie ist kein wirkliches Risiko. Deshalb wirft sie am AQ – dem Abenteuer-Quotienten – gemessen, so wenig ab. Schützt aber gleichzeitig vor den Abgründen der Freiheit. ›Freiheit ist ein harter Lehrmeister.‹ Der Satz ist fürchterlich wahr. Zu hart für die meisten, also entspricht die Temperatur ihres Lebens der ihrer Bereitschaft zum Risiko: lauwarm. Mein Leben ist lauwarm.«
Mit großer Seelenruhe zieht Masazumi die Bilanz seiner eigenen Existenz. Ohne geschwätzige Eitelkeit, ohne Bitte um Verständnis, ohne mildernde Umstände, wie auswendig gelernt beichtet er. »Jeder erfindet sich eine Geschichte«, schreibt Max Frisch, »und die hält er dann für sein Leben.« Bei Masazumi ist es umgekehrt: Er erfindet nichts, er findet nichts Gutes in seiner erfolgreichen Karriere, spürt nur Scham über den Verlust seiner Träume. Die einmal so weit weg waren von der Realität eines Mannes, der jedes Jahr zwölf Monate Zeit hat, um 25 Millionen Umsatz anzuhäufen. Das zuzugeben ist tapfer, sehr tapfer.
Himmlisch sakeblau steigen wir in den Limousine Service , den das Restaurant für uns bestellt hat. Masazumi scheint jetzt unbetrübt. Die Beichte war wichtig, the file is closed . Der Ekel über das amerikanische rat race wird weiter an ihm nagen. Reden wird er nicht mehr davon. Ob er über die Kraft verfügt, zu seinen Träumen zurückzukehren, wird er allein entscheiden müssen, mutterseelenallein. » If you have a goal, you have a problem «, sagt er zum Abschied. Nun scheint er auf der Suche nach anderen Zielen, nach anderen Problemen. Sinnlicheren, sinnenfroheren.
Norman Mailer notierte einmal begeistert: »Wer nach New York kommt, sieht zuerst einmal nur Frauen. Und was für Frauen.« Das hat der Meister mit der höheren Arroganz derjenigen verkündet, die irgendwann für immer hier leben. Wie recht er hat. Denn so viele Geradegewachsene, so viele große Elegante treten in der Provinz nicht auf. Sie wandern aus, hierher. Die Stadt hat ein Auge für Pracht, schmeichelt den Eitlen, versorgt jeden mit Arbeit, der bereit ist, sein Schönsein als Ware auszubeuten.
Vor Jahren wurde ein Witzbold bekannt, der am Holland Tunnel ein Schild mit der Aufschrift » America « installierte. Es zeigte Richtung New Jersey, Richtung Westen, Richtung Trostlosigkeit und müdes Leben. Jeder darf New York verfluchen. Aber an Öde und Mangel an Aufregungen wird hier keiner zugrunde gehen.
Mir bleiben zwei Tage in Manhattan und ich habe mir im Flughafenbus schon geschworen, die Schönen nicht anzuschauen. Andere kennen die Namen der Sterne, ich kenne die Namen der Einsamkeiten: Weil ihnen die Augen bluten vom Hinsehen auf begehrenswerte Gesichter, die sie nie kennenlernen werden. Weil die Zeit fehlt, weil die Frau von einem anderen Mann begeistert ist, weil irgendwo ein Abfahrtsignal schrillt, das man nicht versäumen darf.
Zudem leben wir in den snoring nineties . Es gab einmal die roaring twenties und die wild seventies . Das ist lange her. Sex gilt heute als eher unnütz, als gefährlich sowieso, sich ausziehen und loslegen als Zeitverschwendung, als eher lästige Unterbrechung beim Einsammeln von Geld. Einer Umfrage zufolge geschlechtsverkehren Männer und Frauen in diesem Land achtzehn Minuten lang miteinander. Pro Woche. Nicht, dass sie es übertreiben. Aber immerhin glatte siebenundsiebzig Sekunden alle zwölf Stunden.
Die New York Times berichtet von einer Auktion, bei der Plakate und andere Memorabilien, die an den Summer of
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