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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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tränenüberströmtem Gesicht um und ging eilig hinter den reichverzierten Baumstammsärgen in eine angrenzende Abteilung und nahm von dort aus die Rolltreppe hinunter zum Haupteingang.
     
    Ein kühler Wind strich durch die Swanston Street, und der Himmel verfinsterte sich zu einem spätnachmittäglichen Grau. In der Victorian Art Gallery fuhr der Wachmann mit einem Ruck aus dem Schlaf. Er streckte sich erschrocken und blickte sich schuldbewusst um, wobei er sich fragte, was ihn wohl geweckt haben mochte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass das Museum bald schließen würde. Ächzend erhob er sich, und dann hörte er, was ihn aufgeschreckt hatte: Durch die kalten, leeren Ausstellungsräume hallte das Wimmern eines Babys. Der Wachmann eilte in die Aborigine-Abteilung, aus der das Weinen drang, nachdrücklicher inzwischen. Er durchquerte den Raum, und als er um die Ausstellungswand in der Nähe des Schaukastens bog, sah er das Bündel auf dem Fußboden liegen und stieß einen Fluch aus. Das Baby wimmerte erneut. Der Wachmann ging in die Hocke und hob es vorsichtig auf. Sofort drehte es sich zu seiner Brust und suchte nach Milch.
     
    Das Mädchen saß zusammengekauert auf einem Straßenbahnsitz und hatte die Arme fest um sich geschlungen. Ihre Augen brannten, die vollen Brüste spannten und tropften. Sie verspürte ein schmerzhaftes Ziehen im Bauch, das sie daran erinnerte, dass ihr Kind weinte und nach ihr verlangte. Ihre Lippen bewegten sich stumm, als sie sich innerlich wieder und wieder vorsagte: »Es ist am besten so …«
     
    Als die Nachtschwester das Baby aus dem Umschlagtuch wickelte, stieß sie auf eine Nachricht, die an das winzige Hemdchen geheftet war:
    »Bitte kümmern Sie sich um meine Tochter. Es ist für mich die einzige Möglichkeit, ihr zu helfen. Ich habe kein Geld. Meine Eltern haben mich rausgeworfen. Ich weiß nicht, wo mein Freund ist. Mein Baby ist zur Hälfte Aborigine, daher möchte ich, dass es bei seinem Stamm aufwächst, wo alle Kinder als Teil einer großen Familie aufgezogen werden. Bitte finden Sie seine Aborigine-Familie. Ich denke, meine Tochter hat es dort besser. Ich möchte nicht, dass mein Freund in Schwierigkeiten gerät, denn ich liebe ihn wirklich. Vielleicht werde ich mein Baby eines Tages wiedersehen.«
     
     
     
    In der Fernfahrerkneipe am Hume Highway, wo kräftiges Fastfood ohne großes Brimborium, dafür aber mit viel freundlichem Geplauder serviert wurde, hing ein Fernseher hinter dem Tresen. Die Kellnerin wischte sich Kartoffelbrei von der fleckigen Schürze und verfolgte die Morgennachrichten. Ein Polizeisprecher bat die junge Mutter dringend, sich zu melden und medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    »Ts, ts, armes Ding. Wie kann eine Mutter so etwas tun? Bestimmt ist sie selbst noch ein Kind. Obwohl es ein merkwürdiger Ort ist, um ein Baby auszusetzen …«, sagte sie nachdenklich.
    Der stämmige Fahrer auf dem Hocker vor dem Tresen hörte nicht auf, gebratene Koteletts, Eier und Kartoffelbrei in sich hineinzuschaufeln, und sagte mit vollem Mund: »Wahrscheinlich so ’n verdammtes Abo-Mädchen, das in Schwierigkeiten geraten ist. Die wissen doch gar nicht, was Verantwortung heißt oder was richtig und was falsch ist.«
    Ein Geräusch übertönte das andere: das Zischen des Gaskochers, das Brutzeln der Hamburger-Scheiben, das Spritzen von Bratfett, das Gemurmel der Gäste am Tresen und an den Tischen und – sozusagen als Sahnehäubchen – die blecherne Stimme des Nachrichtensprechers.
    »Ich dachte, die hätten’s so mit der Familie, bei dem ganzen Wirbel, den sie um die Kinder gemacht haben, die man ihnen damals weggenommen hat«, sagte die Kellnerin. Im Fernsehen lief jetzt ein Interview mit dem Wachmann der Galerie.
    »Nur wenn dabei Geld für sie rausspringt, Schätzchen. Von denen hört man nur dann etwas, wenn sie irgendwelche Ansprüche geltend machen. Wir werfen denen Milliarden in den Rachen, und was hat das gebracht? Sie kaufen sich Autos, fahren sie zu Schrott und verlangen neue. Ständig sind sie unterwegs zu irgendwelchen Zusammenkünften, um der Regierung noch mehr Geld für dies und das rauszuleiern, oder sie lassen sich volllaufen und vermöbeln ihre Frauen, schmeißen Fensterscheiben ein oder pennen auf der Straße. Verfluchte Verschwendung von Steuergeldern. Wenn’s nach mir ginge, sollte man sie alle zurück in den Busch schicken.« Er aß den Rest Kartoffelbrei mit der Bratensoße, die nicht auf seinem stramm über der Wampe

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