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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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mir nichts aus, dass du hier sitzt, aber ich ertrage kein Geheule, keine Qualmerei, und ich will mir auch nicht deine Lebensgeschichte anhören.«
    Das Mädchen nickte – fügsam, dankbar, erleichtert, nicht reden zu müssen.
    Im Vakuum des dröhnenden Motors, der nur von Slim Dustys Gitarrenschlag auf seinem Country-Hits-Goldalbum übertönt wurde, fuhren sie dahin. Ein-, zweimal warf der
truckie
dem Mädchen einen Seitenblick zu. Sie hatte ihren Kopf gegen das Fenster gelehnt und die Augen geschlossen, ein Ausdruck von unendlicher Traurigkeit und Schmerz lag in ihren feinen Zügen. Kleine Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, ihr braunes Haar hing feucht herab, auf ihren Wangen waren rosa Flecken – die einzigen Farbtupfer in ihrem blassen Gesicht.
    Der Fahrer stellte die Klimaanlage ein und schloss unwillig das Fenster in der Hoffnung, die künstliche Kälte würde ihr Unwohlsein lindern.
    Sie fuhren mehrere Stunden lang. Ab und an wurde die ländliche Gegend unterbrochen von den typischen Highway-Auswürfen: Vereinzelte Tankstellen, kleine Geschäfte, Teestuben und billige Motels fügten sich in Grüppchen zusammen und wurden wieder ersetzt von Bäumen und Streifen dichtbewaldeten Staatsforsts. Es war, als zöge man einen Vorhang beiseite und lüde die Touristen ein, das schmale Asphaltband für einen Abstecher zu verlassen, die Gegend zu erkunden und zu genießen. Sorglos, dem nach Süden, Städtchen und Städten zufließenden Verkehr entgegen, während sich zu beiden Seiten hin Gebiete erstreckten, die daran gemahnten, dass es dort draußen noch immer die ungezähmte Wildnis gab.
    Das Mädchen bewegte sich, und er fragte sich, ob sie eingeschlafen war. In was für einen Traum auch immer sie gesunken war – er begann sie zu überwältigen: Plötzlich wurde aus den vereinzelten Tränen ein unaufhaltsamer Strom, heftige Schluchzer ließen ihre zerbrechliche Gestalt erbeben.
    »Ist alles in Ordnung? Was ist los, Schätzchen?«
    Eine Weile brachte sie kein Wort heraus, dann: »Ich hab’s mir anders überlegt. Ich … muss … zurück.«
    »Herrgott! Ich drehe nicht um. Wohin willst du überhaupt zurück?«
    Sie rang die Hände, dann ballte sie eine Faust, steckte sie sich in den Mund und biss sich auf die Fingerknöchel. Ihre fahle Haut sah durchsichtig aus, als wäre jeder Tropfen Blut daraus gewichen, jede Energie, jegliches Leben.
    »Wir sind nur noch ein paar Kilometer von der Grenze entfernt. Ich besorg dir in Corryong was zu essen, und du entscheidest, was du tun willst. Warten kann ich nicht, ich muss mich an meinen Terminplan halten.«
    Zum ersten Mal blickte sie ihn direkt an, ließ die Faust in den Schoß fallen und fasste mit der anderen Hand zum Türgriff. »Ich muss aussteigen … jetzt. Ich muss zurück.«
    »Himmel, Schätzchen, immer mit der Ruhe. Ich kann dich hier nicht rauslassen, mitten im gottverdammten Nichts.«
    »Ich muss raus.« Ihre Stimme wurde fest. »Jetzt. Bitte.« Sie fingerte am Türgriff.
    »Pass auf! Nun warte doch.« Leise fluchend hielt der
truckie
Ausschau nach einer Stelle, die breit und lang genug war, um sicher anhalten zu können. Mit knirschendem Getriebe und quietschenden Bremsen kam der Sattelschlepper zum Stehen, und noch bevor der Motor verstummt war, hatte das Mädchen die Beifahrertür aufgerissen.
    »Die Gegend hier ist nicht sicher! Was tust du nur?«, rief er, als sie auf den Asphalt hinunterglitt. Sie hatte nicht mehr bei sich als eine kleine Handtasche, die sie quer über die Schulter gehängt hatte, nicht mehr Schutz als ihre Jeansjacke über dem leichten Hippiekleid.
    Das verkniffene Gesicht des Mädchens erschien unten an der Fahrertür und blickte zu ihm hinauf. Sie wirkte entschlossen. »Danke. Vielen Dank. Ich weiß, was ich zu tun habe. Es war ein Fehler.«
    Sie ging auf die andere Straßenseite und blieb dort mit über der Brust verschränkten Armen stehen.
    »Bist du sicher?«, rief der Fahrer ihr nach.
    Sie winkte ihm kurz, und er ließ den Motor an, setzte den Blinker und fuhr wieder auf den Highway. Der Verkehr war spärlich um diese Zeit, und er hoffte, sie würde nicht allzu lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten müssen.
     
     
     
    Im fernen Nordwesten, an einem Ort namens Bungarra – benannt nach dem großen Waran –, wahrscheinlich einer der elendsten, sonnenverbranntesten, entbehrungsreichsten Flecken auf der australischen Landkarte, legte eine alte Frau ihren Pinsel nieder und richtete sich ächzend auf. Sie blickte auf die

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