Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
Tatsache auch nicht. Ripley konnte sich vorstellen, dass der Neugierfaktor – sowohl bei Touristen als auch bei Einheimischen – einen nicht unbeträchtlichen Teil des jährlichen Profits der Buchhandlung ausmachte.
Wie auch immer, das ging sie nichts an.
Hinter dem langen geschnitzten Tresen beendete Lulu, Mias Assistentin, gerade ihr Telefongespräch mit einem Kunden, dann schob sie ihre silbern eingefasste Brille ein Stückchen die Nase hinunter, um Ripley über den Rand hinweg anzusehen.
»Na? Suchst du heute was für deinen Geist und für deinen Magen?«
»Nein. Ich habe reichlich genug, um meinen Geist zu beschäftigen.«
»Lies mehr und du weißt mehr.«
Ripley grinste. »Ich weiß schon alles.«
»Oder zumindest hast du dir das immer eingebildet. Wir haben ein brandneues Buch mit der heutigen Lieferung reinbekommen,
das genau das Richtige für dich ist. 101 Aufreißsprüche … für sie und ihn.«
»Lu.« Ripley wackelte mit den Augenbrauen, als sie auf die Treppe zuschlenderte, die zu der oberen Verkaufsetage hinaufführte. »Ich habe das Buch selbst geschrieben.«
Lulu lachte meckernd. »So? Hab dich in letzter Zeit aber gar nicht in männlicher Gesellschaft gesehen«, rief sie Ripley nach.
»Mir ist in letzter Zeit einfach nicht nach männlicher Gesellschaft zu Mute gewesen.«
Im Obergeschoss des Ladens gab es noch mehr Bücher, mit noch mehr Schmökerecken zwischen den Regalen. Aber hier war das Café die große Attraktion. Ripley konnte bereits den köstlichen Duft der Tagessuppe riechen – irgendetwas Gehaltvolles und stark Gewürztes.
Die Morgenkundschaft, die Nells Muffins oder gefüllte Brötchen verdrückt haben würde oder welche Köstlichkeit auch immer sie sich für diesen Tag ausgedacht haben mochte, hatte inzwischen der Mittagskundschaft Platz gemacht. Ripley konnte sich vorstellen, dass die Leute an einem Tag wie diesem gerne etwas Heißes und Herzhaftes essen würden – bevor sie sich eines von Nells sündhaft leckeren Desserts gönnten.
Sie ließ ihren Blick über die Auslage schweifen und seufzte. Windbeutel. Keiner, der auch nur halbwegs bei Verstand war, ließ delikat gefüllte Windbeutel stehen, selbst wenn die übrige Auswahl aus nicht minder verlockenden Eclairs, Obsttörtchen, Keksen und einer Torte bestand, die aus vielen Schichten purer, klebrig-süßer Sünde zusammengesetzt zu sein schien.
Die Künstlerin hinter all diesen Verlockungen tippte gerade eine Bestellung in die Kasse ein. Ihre Augen waren von einem leuchtenden und klaren Blau, ihr kurzes Haar ein goldblonder Heiligenschein um ein Gesicht, das Gesundheit
und Lebensfreude ausstrahlte. Kleine Grübchen erschienen in ihren Wangen, als sie lächelte und einen Kunden zu einem der Kaffeetische winkte, die am Fenster standen.
Es gibt Leute, dachte Ripley, denen die Ehe gut bekommt. Nell Channing Todd war eine davon.
»Du siehst heute ziemlich munter und energiegeladen aus«, bemerkte Ripley.
»Ich fühle mich auch super. Der Tag verfliegt nur so. Als Tagessuppe haben wir heute Minestrone, als Sandwich …«
»Ich nehme nur die Suppe«, unterbrach Ripley sie. »Weil ich anschließend noch einen von deinen Windbeuteln brauche, um meine Glückseligkeit zu sichern. Ich werde einen Kaffee dazu trinken.«
»Kommt sofort. Ich backe für heute einen Schinken zum Abendessen«, fügte Nell hinzu. »Also stopf dich nicht mit Pizza voll, bevor du nach Hause kommst.«
»Okay. In Ordnung.« Das erinnerte Ripley wieder an die andere Sache, wegen der sie hergekommen war. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, während sie ihren Blick abermals suchend durch den Raum schweifen ließ. »Ich habe Mia heute noch nirgendwo gesehen.«
»Sie arbeitet in ihrem Büro.« Nell schöpfte Suppe in eine Tasse und legte ein knuspriges Brötchen auf den Teller, das an diesem Morgen frisch gebacken worden war. »Ich schätze, sie wird in Kürze fertig sein. Du bist heute Morgen so schnell ins Haus gekommen und wieder verschwunden, dass ich gar keine Gelegenheit gefunden habe, mit dir zu reden. Was ist los?«
»Nichts, überhaupt nichts.« Vielleicht war es ungehobelt, sich eine andere Bleibe zu suchen, ohne vorher etwas davon zu sagen. Ripley fragte sich, ob dies in den Bereich soziale Fähigkeiten und gute Umgangsformen fiel – eine schwierige Angelegenheit für sie.
»Stört es dich, wenn ich meine Suppe in der Küche verdrücke?
« , fragte sie Nell. »Auf diese Weise können wir reden, während du das Futter für deine
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