Im Licht der Sonne: Roman (German Edition)
missbrauchst, verdammst du dich selbst. Du verdammst uns alle.«
»Ich kann hier nicht leben, so versteckt.« Jetzt standen Tränen in ihren Augen, und in dem Wetterleuchten des Sturms brannten sie so rot wie Blut. »Ich kann mich nicht von dieser Sache abwenden. Meine Wahl. Mein Schicksal. Ich nehme sein Leben für ihres und verdamme ihn für alle Zeit.«
Und getrieben von ihrem verzweifelten Verlangen nach Vergeltung, schoss sie, die als Erde bekannt war, ihre Rache wie einen tödlichen Pfeil ab und opferte ihre Seele.
1
Three Sisters Island
Januar 2001
Gefrorener, mit Raureif überzogener Sand knirschte unter ihren Füßen, als sie den geschwungenen Strand entlanglief. Die heranrollenden Wellen hinterließen Gischt und Blasen auf dem Sand, die in einem an zerfetzte Spitze erinnernden Muster auf der verkrusteten Oberfläche liegen blieben. Über ihr am Himmel kreischten unablässig die Möwen.
Ihre Muskeln hatten sich inzwischen erwärmt und bewegten sich bei der zweiten Meile ihres Morgenlaufs so reibungslos wie ein gut geöltes Getriebe. Sie joggte in einem schnellen und disziplinierten Tempo, und ihr Atem – rhythmische Schnaufer – bildete kleine weiße Wölkchen in der frostklaren Luft. Und brannte beim Einatmen so scharf und kalt wie Eisscherben in ihrer Lunge.
Sie fühlte sich fantastisch.
Auf dem winterlichen Strand waren keine Fußspuren außer ihren eigenen zu sehen, und ihre waren tief eingeprägt, die neuen über den alten, als sie über den in einer sanften Kurve verlaufenden Strandabschnitt hin und zurück joggte.
Wenn sie es vorgezogen hätte, ihre drei Meilen in einer geraden Linie zu laufen, hätte sie Three Sisters an ihrer breitesten Stelle von einer Seite zur anderen überqueren können.
Diese Vorstellung machte ihr immer Freude.
Die kleine Insel vor der Küste von Massachusetts gehörte
ihr, komplett mit jedem Hügel, jeder Straße, jeder Klippe und jeder schmalen Bucht. Deputy Ripley Todd empfand mehr als nur Zuneigung zu Three Sisters, der Inselgemeinde und ihren Bewohnern. Sie fühlte sich für ihr Wohlergehen verantwortlich.
Sie konnte die Strahlen der aufgehenden Sonne auf den Fensterscheiben der Ladenfronten in der High Street glitzern sehen. In ein paar Stunden würden die Läden öffnen, und Menschen würden die Straßen bevölkern und ihre täglichen Besorgungen erledigen.
Im Januar gab es keine sonderlich guten Geschäfte mit Touristen zu machen, aber ein paar würden mit der Fähre vom Festland herüberkommen, um in den Läden zu stöbern, zu den Klippen hinaufzufahren und frisch angelandeten Fisch direkt von der Pier zu kaufen. Meistens jedoch waren die Inselbewohner im Winter ganz unter sich.
Der Winter war die Jahreszeit, die Ripley am liebsten mochte.
Am Ende des Strandes, wo die Sandfläche an den Hafendamm direkt unterhalb des Dorfes stieß, kehrte sie um und lief wieder über den Sand zurück. Fischkutter pflügten durch die See, die in einem blassen Eisblau schimmerte. Die Farbe des Meeres würde sich verändern, wenn das Licht intensiver wurde und der Himmel eine andere Färbung annahm. Es faszinierte Ripley immer wieder aufs Neue, wie viele Farben Wasser haben konnte.
Sie sah Carl Maceys Boot, und eine Gestalt im Heck, so winzig wie eine Spielzeugfigur, hob grüßend die Hand. Ripley winkte zurück und joggte weiter. Bei weniger als dreitausend Insulanern, die das ganze Jahr über auf Three Sisters wohnten, kannte praktisch jeder jeden.
Sie verlangsamte ihr Tempo ein bisschen, nicht nur, um sich abzukühlen, sondern auch, um die Einsamkeit noch etwas zu verlängern. Sie nahm oft Lucy, den Hund ihres Bruders,
mit, wenn sie morgens joggte, aber an diesem Morgen war Ripley allein aus dem Haus geschlüpft.
Alleinsein war noch etwas, was sie ganz besonders mochte. Und sie hatte einen klaren Kopf bekommen wollen. Es gab eine ganze Menge, worüber sie nachdenken musste. Über einiges davon wollte sie im Moment lieber nicht nachgrübeln, deshalb schob sie jene Ärgernisse und Probleme erst einmal beiseite. Es gab jedoch eine Sache, mit der sie sich unbedingt befassen musste, obwohl sie nicht direkt ein Problem war. Man konnte etwas, was einen eigentlich glücklich machte, wohl kaum als Problem bezeichnen.
Ihr Bruder war gerade aus den Flitterwochen zurückgekehrt, und nichts hätte Ripley froher stimmen können, als zu sehen, wie glücklich er und Nell miteinander waren. Nach allem, was sie durchgemacht hatten und was es sie beinahe gekostet hätte, war
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