Im Namen Ihrer Majestät
Samanthas Arrangements.
Möglicherweise kann man akzeptieren, daß sie sich einige blaue Flecken beibrachte, unter anderem an den Händen, blaue Flecken eines Typs, den man in der Sprache der Gerichtsmedizin Abwehrverletzungen nennt. Allerdings müßte man sich über die kriminologischen Kenntnisse der fünfundzwanzigjährigen Frau wundern: Woher sollte sie etwas von solchen Abwehrverletzungen gewußt haben?
Es ist auch kein Problem, sich selbst einen Knebel in den Mund zu stopfen. Man kann sich auch eine Schlinge um den Hals legen und sich damit Würgemale beibringen. Wenn man so weit gekommen ist, ist es auch keine Schwierigkeit, die eigenen Beine mit einem Stromkabel zu fesseln.
Dann wird es jedoch schwieriger. Erst danach sollte sie sich der Thames Valley Police zufolge mit einem Sprungseil die Hände auf dem Rücken gefesselt haben, um anschließend in dieser insgesamt äußerst seltsamen Ausstaffierung mit hohen Absätzen dreißig Meter zum Seeufer hinunterzuhüpfen und dann einen endgültigen, wenn auch sehr kurzen Sprung ins Wasser zu tun. Schließlich ertrank sie in fünfzig Zentimetern Tiefe.
Solche Schlußfolgerungen fordern natürlich jeden Kriminalreporter heraus. Und diese Reporter amüsierten sich königlich, unter anderem bei einer Pressekonferenz, bei der der Experte der örtlichen Polizei für Seemannsknoten et cetera behauptete, den Trick mit Selbstfesselung auf dem Rücken an sich ausprobiert zu haben; er verstummte jedoch, als ihm die höhnische Frage gestellt wurde, ob er das Experiment mit hochhackigen Schuhen durchgeführt habe, nachdem er sich erst die Beine mit einem Stromkabel zusammengebunden habe.
Der verantwortliche Gerichtsmediziner erregte mit seiner Erklärung, es sei durchaus üblich, daß Leute, die ins Wasser gehen wollten, sich einen Knebel in den Mund stopften, um nicht um Hilfe schreien zu können, eine gewisse Begeisterung; wieviel Hilfe braucht man in fünfzig Zentimeter Tiefe?
Was die Presse verstummen ließ, war entweder eine entsetzliche Wahrheit oder ein zynischer Trick.
Off the record ließ die Polizei durchsickern, welches Motiv dem Selbstmord angeblich wirklich zugrunde lag. Samantha Arnolds vermeintliche Phobie in Sachen AIDS sei in Wahrheit eine beschönigende Umschreibung. Tatsächlich aber sei sie tief verzweifelt gewesen, weil sie ihr Leben lang von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden sei.
Es war nicht ratsam, diese Erklärung zu drucken. Erstens würde sie den Hinterbliebenen schaden. Zweitens würden solche Angaben bei Klagen gegen die englische Presse einen Schadensersatz von mindestens zweihunderttausend Pfund zum Ergebnis haben.
Die Presse verstummte, und der Fall Samantha Arnold geriet bis auf weiteres in Vergessenheit.
*
Carl war völlig verunsichert, als er sich dem achtjährigen Jungen auf der Anlegebrücke näherte. Er schlich weiter, als würde er sich einem Feind von hinten nähern. In ein paar Metern Entfernung blieb er unentschlossen stehen und betrachtete die Szene.
Eine schwedische Anlegebrücke bei schönem Mittsommerwetter, eine leichte Brise, von Zeit zu Zeit eine Kräuselung der Wasserfläche, das grüne Schilf, das sich weich im Wind neigte, um sich dann wieder raschelnd zu erheben.
Dort saß ein kleiner Junge und angelte. Der rotweiße Schwimmer hüpfte behäbig ein paar Meter draußen im Wasser, und auf der frisch geteerten Anlegebrücke lagen drei kleine Barsche mit Haut und Schuppen, die, nach Größe geordnet, schon in der Sonne trockneten.
Der Junge hatte dunkles, aber kein schwarzes Haar, etwa so, wie Carl es bei seinem eigenen neugeborenen Sohn in einigen Jahren erwartete.
Er mußte den Jungen auf seine Seite ziehen, das war ebenso zwingend wie der Befehl eines Oberbefehlshabers. Er mußte den Jungen dazu bringen, seine Einstellung zu ändern, denn bisher waren Mißtrauen, Furcht und entschiedene Abneigung das einzige, was er zeigte.
Stan war Tessies Sohn. Carl und Tessie verfolgten die Absicht, mit List, Güte sowie mit mehr oder weniger echter Liebe, je nachdem, von welcher Seite, den Jungen in einem Sorgerechtsstreit zurückzugewinnen. Bisher war alles nach Plan gelaufen. Das Gericht in Santa Barbara hatte ein weitgehend gemeinsames Sorgerecht verfügt, wie es hieß. Daraufhin war Stan per Gerichtsbeschluß dazu gezwungen worden, von Kalifornien nach Schweden zu fliegen, um in den Sommerferien seine Mutter zu treffen.
Zwei Tage lang war Carl jeder Versuch einer Annäherung mißlungen; der freundlichste Ausdruck,
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