Im Netz der Meister (German Edition)
ihr eine Nachricht hinterlassen hatte. Sie klickte die Seiten ihrer Besucher an, las, sortierte, reagierte. Sie bekam etliche Nachrichten: nette und höfliche Anfragen nach ihrem Befinden, lustige Anmachen und ordinäre Aufforderungen.
Eines Tages schrieb Loving Lars an Simone: »Wow! Lady Chatterley live!«
Loving Lars kam aus Karlsruhe, liebte seine Frau sehr und suchte einen Seitensprung. Er liebte auch High Heels, schicke Dessous und erotische Geheimnisse. T-Shirts, Strickjacken und weiße Baumwollunterwäsche törnten ihn total ab. Das schrieb er auf seiner Profilseite.
Lars verkleidete sich gern beim Sex, trug dabei Perücken, Strumpfhosen und Kleider. Und er liebte High Heels nicht nur an Frauenfüßen, sondern auch an seinen eigenen. Das schrieb er Simone nach wenigen Tagen per Mail. Sie war schockiert. Ein Mann in Stöckelschuhen war höchstens im Karneval oder beim Christopher-Street-Day in Köln zu akzeptieren, aber doch nicht in der Erotik.
»Also wirklich, Lars. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, dass mich so was anmachen würde. Ein Mann in Stöckelschuhen, das ist nicht mein Ding.«
»Warte ab, Lady Chatterley, bis du deinem Herrn zum ersten Mal die Pumps lecken darfst«, schrieb Lars zurück.
Um Himmels willen.
Sie loggte sich postwendend aus. Ihr Magen rebellierte, sie bekam feuchte Hände und Herzrasen. So etwas Perverses.
Simone stellte sich vor, wie sie vor einem Mann hockte und seine Pumps küsste. Allein das Bild großer Männerfüße in hohen Schuhen brachte sie zum Lachen. Nein, das kam für sie unter keinen Umständen in Frage. Sie fand dennoch keine Ruhe seit diesem Tag. Ein Bild hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt, das sie nicht mehr losließ. Ein Bild, auf dem sie sich selbst sah, mit gesenktem Kopf vor einem Mann kniend.
Jeden Morgen loggte Simone sich bei Love.Letters ein und wartete darauf, dass Lars online war. Ab neun Uhr war er im Büro, pünktlich um drei Minuten nach neun leuchtete sein Nickname grün. Er war da. Simone beantwortete außer seinen Mails auch viele andere, und sie fühlte sich dabei ein wenig wie in einem Schlaraffenland, in dem es zum Vernaschen statt Kuchen, Pudding und Würstchen eben Männer gab.
Schnell und routiniert sortierte sie nebenbei die Buchlieferungen, schrieb Rechnungen, gab Bestellungen auf und bediente Kunden. Vormittags war nie viel los.
Der Computer in der Buchhandlung lief den ganzen Tag. Die Flirtseite von Love.Letters war den ganzen Tag geöffnet. Nur wenn Kundschaft kam, minimierte Simone das Fenster.
Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich beinahe gestört fühlte, wenn sie einen netten Online-Flirt unterbrechen musste, um sich um einen Kunden zu kümmern.
Zu Hause organisierte sie ihren Haushalt wie immer. Das Häuschen am Bonner Stadtrand, der liebevoll gestaltete Garten, der Freundeskreis und die Familie forderten sie und füllten sie aus. Simone kümmerte sich um Jenny und Julia, die mit ihren dreizehn und fünfzehn Jahren allerdings offensichtlich weniger eine Mutter als eine Putz-, Koch- und Waschfrau brauchten. Simone ging nach Feierabend mit dem Hund Carlos spazieren, managte die gemeinsame Freizeit an den Wochenenden und schlief mittwochs und sonntags nach dem Tatort mit Gerald. Alles war eigentlich so wie immer.
Nur ihre Gedanken, die waren nicht mehr wie immer.
Lars nahm kein Blatt vor den Mund und schrieb ihr inzwischen sehr lüsterne E-Mails. Er schickte ihr elektronische, erotische Grußkarten und machte ihr Komplimente. Er erzählte ihr unbefangen von seinen sexuellen Vorlieben und Simone war wie im Fieber. Sie begannen ein virtuelles Spiel. Nun lernte Simone, was mit dem Satz »Ich suche jemanden zum Spielen« gemeint war. Rollenspiele, natürlich.
Lars spielte mit ihr das Spiel von einem Herrn und seiner Sklavin. Er führte sie geschickt an sein Thema heran, ohne dass ihr klar war, dass sie geführt wurde. Er war ab sofort ihr virtueller Herr. Das Spiel funktionierte nur, weil Simone sich ausdrücklich einverstanden erklärt hatte.
Lars gab ihr einen Namen, mit dem sie künftig alle Mails an ihn unterschreiben sollte. Fortan hieß sie nicht mehr Lady Chatterley, sondern Angel, wenn sie mit Lars kommunizierte.
Angel – das sollte keineswegs heißen, dass Simone ein Engel war. Nein, ihr Herr war sehr kreativ.
A – wie abgefahrenes, n – wie niedriges, g – wie geiles, e – wie erbärmliches und l - wie Luder. Angel.
Ihre Korrespondenz erregte sie sehr. Nur virtuell,
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