Im Netz der Meister (German Edition)
natürlich, denn real würde sie so etwas niemals tun. Zudem war es ein wenig übertrieben, einen Partner als Herrn oder als Sklavin zu bezeichnen, aber es war ja nur ein Spiel. Eine Art »geheimes Gesellschaftsspiel für Erwachsene«, dachte Simone.
Manches, von dem Lars schrieb, war ihr vertraut. Ein Schlag auf den Po beim Sex, ein fester Griff in die Haare, ein bestimmender Befehlston ihres Partners – das alles kannte sie aus der Zeit vor ihrer Ehe und ein wenig auch aus dem Leben mit Gerald. Damals. Dass sie nach so vielen Jahren kaum noch etwas empfand, ihre Routine jedoch als vertrauensvolle Nähe ansah, gestand sie sich nicht ein. Wozu auch?
Lars vergriff sich nie im Ton, er schrieb streng und bestimmt, aber immer höflich und oft sehr charmant.
Theoretisch und virtuell wagte sich Simone immer weiter in diese neue Welt hinein. Das, was sie plötzlich so sehr faszinierte, hieß SM: Sadomasochismus. Natürlich hörte sie nicht zum ersten Mal davon, aber bisher hatte sie von Leuten, die etwas mit SM zu tun hatten, nur in schrecklichen Schlagzeilen in der Zeitung gelesen. Große rote Überschriften wie: »Grafenschloss wird Sado-Tempel«, »Perverser Pfarrer peitschte Putzfrau«, oder »Ekelhafte Prügelspiele im Bordellkerker« hatte sie kopfschüttelnd überflogen. Sadisten waren also perverse, kranke Leute, die Spaß daran hatten, andere zu quälen. Und Masochisten waren ebenfalls psychisch gestört, denn normal konnte es nicht sein, sich foltern, demütigen oder schlagen zu lassen und das auch noch erotisch zu finden.
Simone erinnerte sich an eine Szene aus einem Simmel-Roman, den sie als Teenager gelesen und niemals vergessen hatte: Ein nackter Mann kroch auf allen vieren durch einen Raum, in seinem Hintern steckten bunte Hahnenfedern, und auf Anweisung einer dominanten Frau hin hatte er zu gackern und zu krähen. Sie schüttelte mitleidig lächelnd den Kopf, als sie an diese Szene dachte.
Lars nannte ihr Internetseiten, Foren und Chats, in denen es ausschließlich um Sadomasochismus ging. Simone studierte sie in jeder freien Minute. Sie fand zahllose Geschichten, in denen Herren ihre Dienerinnen mehr oder weniger hart anfassten, Geschichten, die von Frauen und Männern geschrieben worden waren, die aus dieser »Szene« kamen. Öffentliche Tagebücher waren es fast, Berichte von realen Erfahrungen anderer, die Simone versuchte, sich bildlich vorzustellen. Die Texte, die sie sich ausdruckte, versteckte sie in der Buchhandlung in einem unscheinbaren Aktenordner mit der Aufschrift »alte Rechnungen«. Simone bestellte Bücher mit Titeln wie »Brennende Fesseln«, »Außer Atem«, »Mut zur Demut«, »Lust an der Unterwerfung« und »Die Lügen meines Meisters«. Sie handelten von Frauen, die es genossen, sich einem Mann geistig und körperlich zu unterwerfen. Simone las diese Bücher heimlich während der Arbeitszeit, wenn sie allein im Laden war. Sie versteckte sie in einem unauffälligen Karton, damit Karin Köhr sie nicht fand.
Und Simone pflegte ihren Kontakt zu Lars mit einer Leidenschaft, die sie selbst erstaunte. Er nahm einen Platz in ihrem Leben ein. Mittwochs- und Sonntagabends dachte sie oft an ihn und an ganz andere Dinge als an die, die Gerald dann mit ihr machte.
Jedes Mal, wenn Simone online war, hatte sie sich umgehend bei Lars zu melden. Er begann mit einer virtuellen »Erziehung«, die sie sehr erregte und ihr großen Spaß machte. Täglich wollte er zum Beispiel wissen, wie sie gekleidet war – vom Mantel bis zum Slip.
»Wie siehst du aus, Angel, was hast du an?«
Simone sah sich hinab. Blaue Jeans, bequeme Schuhe, praktischer Pullover. Sie dachte an ihre pastellfarbene, kochechte Baumwollunterwäsche, den praktischen Sport-BH, die rautengemusterten Kniestrümpfe. Sie antwortete: »Enge Jeans, enger Kaschmir-Rolli, Lederstiefel mit zehn Zentimeter Absatz, Perlenschmuck.«
»Wie bist du geschminkt?«
»Wimperntusche, Kajal und roter Lippenstift.«
»Welche Unterwäsche trägst du?«
»Schwarze halterlose Strümpfe mit breitem Spitzenrand, schwarzer String, BH.«
Lars war zufrieden. »Du hast Stil, meine kleine Schlampe«, sagte er, und Simone freute sich über ein Kompliment, das sie nicht verdiente. Ja, früher, bevor die Kinder da waren, hatte sie manchmal solche Kleidung getragen...
Lars fragte ihren Tagesablauf ab, und sie hatte ihm Bericht zu erstatten. Er interessierte sich wirklich für sie. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die er ihr zukommen ließ, sehr. So viel Zeit
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