LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
Prolog
Ein ungebetener Gast
Ein Außenstehender hätte unser Fest für eine ganz normale Pyjamaparty gehalten, einen fröhlichen Abend mit Popcorn und Maniküren, an dem die sechs wunderschönen Mädchen der exklusivsten Clique der Hollier Highschool sich gegenseitig schminkten, den neusten Tratsch austauschten und den nächsten Streich fürs Lügenspiel planten. Auf meinem iPhone befanden sich Dutzende Fotos von früheren Pyjamapartys, die ganz ähnliche Momente zeigten: ein Schnappschuss von meiner besten Freundin Madeline, die das Foto eines Models mit Ponyfransen neben ihr Gesicht hielt und fragte, ob der Look ihrem herzförmigen Gesicht schmeicheln würde; eine Aufnahme, auf der Charlotte die Wangen einzog und das neue Rouge auftrug, das sie gerade bei Sephora gekauft hatte; ein Foto von meiner Schwester Laurel, die über die D-Prominenz in ihrer Klatschzeitschrift lästerte. Und natürlich viele Fotos von mir, Sutton Mercer, auf denen ich aussah wie ein glamouröses, mächtiges It-Girl. Was ich ja schließlich auch war.
Aber an diesem Abend war etwas anders als sonst, was aber nur ein Mädchen im Zimmer wusste. Das It-Girl, in dessen Gelächter meine Freundinnen einstimmten, das Mädchen, das sie für mich hielten … war nicht ich. Denn ich war tot. Meine Herzensfreundinnen kicherten mit meiner lange verschollenen Zwillingsschwester Emma, die meinen Platz eingenommen hatte.
Ich war vor einem Monat gestorben, hing nun irgendwo zwischen dem Diesseits und den ewigen Jagdgründen fest und beobachtete, wie mein Leben mit Emma in der Titelrolle weiterging. Ich begleitete sie auf Schritt und Tritt, so ungefähr als befänden wir uns noch im Mutterleib. Schräg, oder? Ich hatte mir das Leben nach dem Tod auch anders vorgestellt.
An diesem Abend bot sich mir folgendes Bild: Meine Zwillingsschwester saß zwischen meinen Freundinnen auf dem weichen weißen Sofa und hatte die Beine ganz genauso angezogen, wie ich es getan hätte. Auf ihren Lidern glänzte mein silberner Lieblingslidschatten von MAC .
Sie lachte sogar genauso wie ich – laut, abgehackt und sarkastisch. Im Laufe des vergangenen Monats hatte sie meine Manierismen perfekt einstudiert, meine Kleider getragen und ihren eigenen Namen vergessen. Sie hatte mein Leben übernommen, um meinen Mörder zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Denn was das Schlimmste ist: Ich habe keinen Schimmer, wer mich ermordet hat, und kann mich nur noch bruchstückhaft an mein früheres Leben erinnern. Das meiste war wie weggewischt, also fragte ich mich ständig, wer und wie ich gewesen war und wen ich so zur Weißglut getrieben hatte, dass er oder sie mich aus dem Weg geschafft und meine Zwillingsschwester dazu gebracht hatte, meine Identität anzunehmen. Hin und wieder blitzte Erkenntnis in mir auf, und eine Szene aus meiner Vergangenheit stand mir plötzlich wieder kristallklar vor Augen, aber die Zeit davor oder danach blieb weiterhin im Nebel versunken. Ungefähr so, als sähe man ein paar Standbilder aus einem abendfüllenden Spielfilm und müsste versuchen, auf dieser Grundlage die gesamte Handlung zu kapieren. Wenn ich herausfinden wollte, was mir zugestoßen war, musste ich mich auf Emma verlassen … und hoffen, dass sie meinen Mörder erwischte, bevor er oder sie ihr auch das Licht ausknipste.
Ein paar Sachen hatten Emma und ich bereits herausgefunden: All meine Freundinnen hatten Alibis für die Nacht, in der ich gestorben war. Laurel ebenfalls. Sie alle waren also unschuldig. Aber es blieben noch so viele Verdächtige übrig und vor allem ein Name schwirrte uns beiden im Kopf herum: Thayer Vega, Madelines Bruder, der im Frühsommer aus der Stadt abgehauen war. Ich hörte seinen Namen immer wieder, und es ging das Gerücht, dass er und ich heimlich ein Paar gewesen seien. Natürlich erinnerte ich mich überhaupt nicht mehr an Thayer, aber ich wusste, dass irgendetwas zwischen uns passiert war. Aber was nur?
Ich schaute weiter zu, wie meine besten Freundinnen kicherten, tratschten und allmählich müde wurden. Um Viertel vor drei war das Licht im Zimmer erloschen und die Mädchen atmeten tief und gleichmäßig im Schlaf. Das iPhone, auf dem ich vor meinem Tod unzählige SMS geschrieben hatte, piepste leise, und Emma riss augenblicklich die Augen auf, als habe sie die Nachricht erwartet. Ich beobachtete, wie sie das Display ansah, die Stirn runzelte und sich dann auf Zehenspitzen aus dem Haus und die Auffahrt hinunterschlich, wo am Straßenrand Ethan
Weitere Kostenlose Bücher