Im Pyjama um halb vier (German Edition)
Damals habe ich überhaupt viele meiner Freunde verloren und bei den meisten von ihnen war es ganz allein meine Schuld. Danach habe ich lange gebraucht, um zu verstehen, dass das, was der Unfall IN mir angerichtet hat, viel schlimmer war als das, was mit meinem Körper passiert ist. Ungefähr ein Dreivierteljahr nach dem Unfall habe ich eine Therapie angefangen bei einem Therapeuten, der selbst im Rollstuhl sitzt. Er heißt Dr. Rosenbaum und ist ein toller Mann, den ich sehr bewundere und den ich auch heute noch ab und zu besuche. (Jetzt bin ich allerdings schon eine sehr lange Zeit nicht mehr bei ihm gewesen, weil ich ihm sonst mit Sicherheit von dir erzählt hätte. Und er hätte mir sofort gesagt, dass ich dich nicht anlügen darf.) Die Gespräche mit Dr. Rosenbaum waren im wahrsten Sinne des Wortes ein Lichtblick in meinem Leben. Es kam mir so vor, als würde er mir dabei helfen, die Vorhänge in einem dunklen Zimmer zur Seite zu schieben, in dem ich gefangen gehalten wurde. Er hat es möglich gemacht, dass ich nach langer Zeit wieder dazu in der Lage war, durchs Fenster nach draußen zu blicken. Er hat mir geholfen, die Dinge zu akzeptieren, und mich ermutigt, nicht nur rauszuSEHEN, sondern wirklich auch wieder rauszuGEHEN – auch wenn das jetzt nur noch im Rollstuhl geht. Ich habe dann wieder angefangen, Basketball zu spielen, in einer Rollimannschaft. Was ich dir über den Sport geschrieben habe, ist also nicht gelogen. Ich trainiere wirklich zweimal in der Woche und bin mit Leib und Seele ein begeisterter Player… Jetzt, wo ich dir das alles erzähle, fällt es mir viel leichter, als ich zuvor gedacht hatte. Ich frage mich, wieso ich es nicht schon viel früher getan habe. Aber so ist es wohl im Leben, oft hat man große Angst vor Dingen, und wenn es so weit ist, sind sie gar nicht so schlimm.
Es gibt immer noch tausend Sachen, die ich dir gerne sagen würde, liebe Lulu. Aber ich weiß, dass ich dazu keine Gelegenheit mehr haben werde. Ich weiß, dass diese Lüge zu groß war, als dass du sie mir verzeihen könntest.
Darum möchte ich dir nur noch eins sagen, bevor wir uns trennen: Ich bin dir sehr dankbar für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte. Du bist das erste Mädchen nach dieser schlimmen Zeit, zu dem ich wieder Vertrauen fassen konnte und in das ich mich vollen Herzens verliebt habe. Es wird vermutlich lange dauern, bis mir das wieder gelingt. Aber ich weiß jetzt, dass es möglich ist. Wenn du in diesem Augenblick wirklich vor mir stündest, würde ich dich jetzt küssen. So gebe ich dir diesen Kuss nur in Gedanken und hoffe, dass du ihn spüren kannst.
Dein Ben (der dich den Rest seines Lebens vermissen wird)
Chat
BEN: Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr etwas sehr Kostbares im Leben verloren habt? Und es keine Möglichkeit gibt, es wiederzubekommen?
NADINE CAT: Ich kenne das Gefühl zum Glück nicht, Ben. Aber ich bin mir sicher, dass es immer einen Weg gibt, die Dinge zurückzugewinnen!!!!
NERDINATOR: Ach ja? 1860 München kann den verlorenen Aufstieg in die erste Liga wiedergewinnen? Wie soll das denn gehen? Zeitmaschine?
NELLYROSAROT17: Kann mal bitte jemand ein Virenprogramm erfinden, das den Account von Nerdinator zerstört?!
SASCHA T-PUNKT: Hey Ben. Ich glaube, Nadine hat recht. Es gibt immer einen Weg. Du darfst nur die Hoffnung nicht aufgeben.
TOM BOMBADIL: Finde ich auch. Don’t give up. Das Alte muss weichen, um dem Neuen Platz zu machen. Sieh die Dinge positiv.
31. Kapitel
Mittwoch, 20. März
LULU:
Lieber Ben,
es ist immer noch so: Deine »Enthüllung« und all das, was damit verbunden ist, raubt mir gerade die Luft zum Atmen. Ich weiß, dass auch ICH dich damals in Bezug auf meine Familie angelogen habe. Aber DAS hier ist definitiv noch mal etwas ganz anderes! Ich schwanke gerade zwischen totaler Ergriffenheit, Mitgefühl, Trauer – aber auch Wut. Hast du wirklich geglaubt, dass mich so eine Nachricht abschrecken würde? Hältst du mich für so oberflächlich und unsensibel? Was mich allerdings wirklich enttäuscht, ist der späte Zeitpunkt deines Geständnisses. Und die Tatsache, wie du auf meinen Umzug nach München reagiert hast. Weißt du, wie unsagbar DOOF ich mir vorkam, als du auf meine Ankündigung, wir könnten uns nun doch bald endlich TREFFEN, über deine so dermaßen wichtige Klassenfahrt geschrieben hast ohne auch nur ein klitzekleines Zeichen von Bedauern? Ohne wenigstens zu versuchen, eine Alternative zu finden? Ich musste mich da schon schwer
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