Im Rausch der Ballnacht
Lizzie war das egal. Der Abend hatte sich zu dem mit Abstand amüsantesten entwickelt, den sie in den letzten Monaten erlebt hatte. Immer wieder musste sie an Tyrell denken, aber im Moment bekümmerte sie das nicht. Sie schob die Gedanken beiseite und begab sich zu den beiden Männern. Beiden lächelte sie zu.
“Papa? Bestimmt würdest du gern rauchen. Tante Eleanor wird nichts dagegen einzuwenden haben, wenn du auf die Terrasse gehst.”
Papa erwiderte ihr Lächeln. “Die liebe Lizzie, so aufmerksam wie immer. Es geht mir gut.”
Lizzie wandte sich an Rory. “Möchtest du gern rauchen?”
“Schon, aber, meine Liebe, draußen herrscht Frost.” In seinen grünen Augen funkelte es, als er ihr zulächelte. Er wirkte jetzt ganz entspannt, wie er so dasaß, mit gekreuzten Beinen und seiner wie üblich leicht belustigten Miene. Er ließ seinen Blick zum Sofa schweifen, wo die drei Frauen saßen.
“Es war sehr ungehörig von dir, Georgina, deinen Cousin – deinen leiblichen Cousin! – auf diese Weise in die Falle zu locken”, sagte Mama.
Georgie murmelte etwas, das man besser nicht wiederholen sollte.
Während Rory ihre Schwester ansah, musterte Lizzie ihn. Sein Körper wirkte weiterhin entspannt, doch seine Miene nicht. Plötzlich bemerkte er, dass er beobachtet wurde, drehte sich zu ihr um und lächelte. “Muss man sie retten?”, fragte er.
Lizzie lächelte zurück. “Gerade du solltest wissen, dass sie sich sehr gut wehren kann, wenn sie will.”
Er lachte leise. “Ja, das weiß ich.”
“Möchtest du lieber im Spielzimmer rauchen? Wir könnten daraus einen Rauchsalon machen …”
“Ich brauche nichts”, sagte Rory, erhob sich und reckte sich. Dabei ließ er wohl zum hundertsten Mal seinen Blick durch den Raum schweifen. Dann beugte er sich vor. “Und was ist mit dir, Lizzie? Wie geht es dir wirklich?” Er sah sie prüfend an.
Sofort wurde Lizzie verlegen. “Es geht mir besser”, sagte sie und stellte überrascht fest, dass das der Wahrheit entsprach. “Dein Besuch hat meine Stimmung beträchtlich gehoben.”
Flüchtig berührte er ihre Wange. “Als ich ankam, wirktest du sehr traurig, und ich bin überzeugt, den Grund dafür zu kennen.”
Lizzie befeuchtete ihre Lippen und fühlte, wie ihre Anspannung wuchs, dachte an die Traurigkeit, die noch immer in ihr lauerte und nur darauf wartete, sie zu überwältigen. “Es war schwer für mich”, sagte sie schließlich. “Sehr schwer.”
Er zögerte. “Darf ich offen sprechen?”
Lizzie fürchtete sich vor dem, was er vielleicht sagen könnte.
“Ich liebe dich so sehr, wie ich eine Schwester lieben würde, wenn ich eine hätte. Daher bin ich sehr, sehr froh, dass du Wicklow verlassen hast.”
Lizzie wandte sich ab. “Mir blieb keine andere Wahl”, sagte sie.
“Es tut mir leid, mir war einfach nicht bewusst, dass dieses Thema noch immer so schmerzlich für dich ist.” Er nahm ihre Hand.
Lizzie wagte es, genauso ehrlich zu sein. “Ich liebe Tyrell noch immer von ganzem Herzen.”
Rory verzog das Gesicht. “Er verdient es nicht, dass du so treu zu ihm hältst. Nicht nachdem er dich so behandelt hat. Sein Verhalten war entwürdigend!”
Mehr wollte Lizzie nicht darüber hören, daher wechselte sie schnell das Thema. “Wirst du lange in London bleiben?”
“Ja. Meine Zeichnungen kann ich nur anfertigen, wenn ich am politischen Leben der Stadt teilhabe.”
“Dann musst du uns oft besuchen”, sagte Lizzie. “Oh bitte, Rory! Wir haben keine amüsanten Gäste. Tante Eleanors Freunde sind alt und grau und hören schlecht.”
Er lachte. “Dann werde ich euch ganz schrecklich auf die Nerven gehen.”
“Gut”, sagte Lizzie, und sie lächelten einander zu.
Dann ließ Rory wieder den Blick umherschweifen. Lizzie sah über ihre Schulter zurück und bemerkte, dass Georgie sich jetzt am entgegengesetzten Ende des Zimmers befand und am Fenster stand. Aber sie sah nicht hinaus. Sie beobachtete aufmerksam Rory und Lizzie.
Rory verneigte sich und bat um Entschuldigung. Lizzie sah, wie er geradewegs auf ihre Schwester zuging. Da er ein kluger Mann war, verweilte er kurz bei Mama und Eleanor, um mit ihnen zu plaudern, ehe er sich Georgie näherte.
“Lizzie?”
Lizzie drehte sich zu ihrem Vater um. “Mama sieht so glücklich aus”, sagte sie und war ein wenig aufgeregt, denn seit jenem Tag in Wicklow hatten sie einander nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden.
“Sie ist sehr glücklich”, stimmte er zu.
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