Im Rausch der Ballnacht
fühlte sie ihn, als vereinigten sich ihre Körper zu einem einzigen. In diesem Augenblick begehrte sie ihn mit jedem Teil ihres Seins, nicht nur mit ihrem Körper. Nie zuvor hatte sie ihn mehr vermisst.
“Elizabeth”, sagte Tyrell steif. Und dann wandte er sich an Georgina. “Miss Fitzgerald. Darf ich Ihnen zu Ihrer Verlobung gratulieren?”
Lizzie sah Georgie an, die kurz davor war zu explodieren. Aber sie sagte: “Vielen Dank.” Und dann sah sie Lizzie an.
Lizzie schluckte schwer. “Würdest du uns allein lassen?”
Georgie blickte von einem zum anderen, dann nickte sie, wenn auch offensichtlich nicht gern, und ging davon.
Tyrell streckte ihr die Blumen entgegen. “Ich habe gehört, dass du in der Stadt bist.”
Blinzelnd betrachtete sie das Bukett aus scharlachroten Rosen. Warum brachte er ihr Blumen? Was sollte das Bukett bedeuten? Sie streckte die Arme aus und nahm es entgegen, wobei sie heftig errötete. “Vielen Dank.” Sie presste die Blumen an ihre Brust.
“Wie es scheint, geht es dir gut, Elizabeth”, sagte er sehr ernst und ließ seinen Blick über ihr königsblaues Abendkleid gleiten, ehe er ihr wieder in die Augen sah.
Sie wagte es, seinen Blick zu erwidern. Dabei ging es ihr nicht gut, ganz und gar nicht. Es ging ihr nicht gut, seit sie ihn und ihren Sohn verlassen hatte, aber darüber wollte sie jetzt nicht sprechen. “Auch dir scheint es gut zu gehen”, sagte sie, und ein leises Zittern lag in ihrer Stimme. Aber jetzt sah sie einen Schatten in seinen Augen, den es dort vorher nicht gegeben hatte, und sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Etwas quälte ihn oder schmerzte ihn sehr.
Plötzlich wurde sein Tonfall spöttisch. “Es geht mir gut genug”, sagte er.
Lizzie wurde mutiger. “Das ist eine große Überraschung.”
“Ja, das ist mir klar”, sagte er, ohne ihr eine Erklärung für seinen unerwarteten Besuch zu bieten.
Sie holte tief Atem. “Warum …? Warum bist du hergekommen, Tyrell?”
Er lächelte finster. “Ich wusste nicht, dass du in der Stadt bist. Erst als ich heute Morgen mit Rory sprach, erfuhr ich davon”, sagte er, als wäre das eine Erklärung für alles.
Aber es erklärte gar nichts. “Ich verstehe”, erwiderte Lizzie.
“Wir sind alte Freunde”, fügte er hinzu und beobachtete sie dabei genau.
“Freunde”, wiederholte sie. Das Wort entsprach so gar nicht ihrer früheren Beziehung, und das musste er auch wissen. Oder dachte er jetzt wirklich so an sie zurück – wie an eine alte Freundin? Sie wusste, dass ihre Wangen dunkelrot geworden sein mussten. “Natürlich bleiben wir Freunde”, sagte sie so ruhig wie möglich. “Du wirst immer mein Freund sein, Tyrell.”
Er schien etwas in ihrem Gesicht zu suchen, sie wusste aber nicht, was es war. “Du hältst also zu mir, nach all der Zeit?”
Lieber Gott, was sollte das nun wieder heißen? Er verursachte ihr Unbehagen. “Natürlich. Freunde stehen füreinander ein. Das ist die Natur einer Freundschaft.” So wollte sie nicht mit ihm sprechen, so indirekt und in der ständigen Furcht vor Zweideutigkeiten. “Bestimmt kennst du mich gut genug, um zu wissen, dass ich es immer ernst meine. Du wirst immer mein Freund bleiben”, sagte sie leidenschaftlich. Und sie meinte es ehrlich.
Er sah sie an, dann sagte er plötzlich: “Du hast dich verändert. Du bist schöner und betörender denn je, und deine Haltung und deine Ausstrahlung sind jetzt die einer reifen Frau.”
Sein unverhohlenes Kompliment verwunderte Lizzie, und gegen ihren Willen war sie bezaubert. Doch sie wollte sich über seine Schmeichelei nicht freuen. “Wir alle verändern uns, Tyrell. Ich glaube, man nennt es Erwachsenwerden.” Sie zögerte. “Ich glaube, auch du hast dich verändert.”
Erschrocken sah er sie an. Dann sagte er leise: “Das Leben steckt voller Überraschungen, Elizabeth. Nicht alle sind schön.”
Lizzie überlegte, was er damit wohl meinte. Doch sie hatte Angst, danach zu fragen. “Wie geht es deiner Familie?” Jetzt dachte sie an Ned.
“Es geht allen sehr gut”, erwiderte er.
Lizzie biss sich auf die Lippe. So gern hätte sie sich nach ihrem Sohn erkundigt, doch sie durfte dieses Thema nicht ansprechen. Wenn sie das täte, würde der Kummer sie wieder überwältigen. Ein unbehaglicher Augenblick entstand. Sie dachte an Blanche und seine bevorstehende Heirat. “Und wie geht es Lady Blanche?”
Er mied ihren Blick. “Es geht ihr gut.” Seine nächsten Worte erschreckten sie in ihrer Direktheit.
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