Im Reich des Wolfes
gut. Schnell und vollkommen im Gleichgewicht. Vielleicht steckt doch noch was in dir.«
»Man kann nie wissen«, sagte sie und griff blitzschnell mit einer Reihe von Hieben an, zielte mit ihrer Klinge auf Gesicht und Körper. Er wehrte jeden einzelnen Stoß ab, ohne jemals zum Gegenschlag anzusetzen. Schließlich wich sie zurück, verwirrt und verzagt. Sie konnte seine Verteidigung nicht durchbrechen. Aber viel ärgerlicher war, daß er keinerlei Versuch machte, die ihre zu durchbrechen.
»Warum willst du nicht mit mir kämpfen?« fragte Miriel.
»Warum sollte ich?«
»Ich will dich töten.«
»Hast du irgendeinen Grund für diese Feindseligkeit?« fragte er, und der häßliche Spalt seines Mundes verzog sich zu einem Lächeln.
»Ich kenne dich, Morak. Ich weiß, warum du hier bist. Das sollte reichen.«
»Es würde ...«, setzte er an, doch sie attackierte erneut, und diesmal war er nicht ganz schnell genug. Ihre Klinge stieß an seinem Gesicht vorbei und ritzte sein Ohrläppchen. Er holte mit der Faust aus und hämmerte sie gegen ihr Kinn. Halb betäubt, verlor Miriel ihr Schwert und fiel auf die Knie. Die Klinge des Mannes berührte ihren Hals. »Genug mit diesem Unsinn«, sagte er, drehte sich um und holte seinen Umhang.
Miriel hob ihr Schwert auf und stellte sich ihm wieder in den Weg. »Ich lasse ich nicht vorbei«, sagte sie grimmig.
»Du kannst mich nicht aufhalten«, erwiderte er, »aber es war ein nettes Spiel. Und jetzt sag mir, wo ist Waylander?« Miriel rückte näher. »Warte«, sagte er und steckte das Schwert in die Scheide. »Ich bin nicht Morak. Hörst du? Ich bin nicht von der Gilde.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte Miriel. Ihr Schwert ruhte jetzt an seiner Kehle.
»Hätte ich dich töten wollen, hätte ich es getan. Du weißt, daß ich recht habe.«
»Wer bist du?«
»Ich heiße Angel«, antwortete er, »und vor langer Zeit war ich ein Freund deiner Familie.«
»Du bist hier, um uns zu helfen?«
»Ich kämpfe nicht die Kämpfer anderer, Mädchen. Ich kam, ihn zu warnen. Jetzt sehe ich, daß es nicht nötig war.«
Langsam senkte Miriel ihr Schwert. »Warum jagen sie meinen Vater? Er hat niemandem etwas getan.«
Er zuckte die Achseln. »Seit vielen Jahren nicht, da gebe ich dir recht. Aber er hat viele Feinde. Das ist einer der Nachteile im Leben eines Kopfgeldjägers. Hat er dich gelehrt, das Schwert zu gebrauchen?«
»Ja.«
»Er sollte sich schämen. Mit dem Schwert zu kämpfen bedeutet
vollkommene Harmonie von Herz und Verstand«, sagte er streng. »Hat er dir das nicht gesagt?«
»Doch«, fauchte sie.
»Ach. Aber wie die meisten Frauen hörst du wohl nur zu, wenn es dir in den Kram paßt, stimmt's? Kannst du wenigstens kochen?«
Miriel zügelte ihr Temperament und schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Das kann ich. Ich kann auch sticken, stricken, nähen und ... was noch? Ach, ja ...«Ihre Faust krachte gegen sein Kinn. Da er neben dem umgestürzten Baum stand, hatte er keine Zeit, auszuweichen und Halt zu finden, und so schickte ein zweiter Schlag ihn quer über den Baum in eine Schlammpfütze auf der anderen Seite. »Das hätte ich fast vergessen«, sagte sie. »Mein Vater hat mir auch beigebracht, mit den Fäusten zu kämpfen.«
Angel kam auf die Knie und erhob sich langsam. »Meine erste Frau war wie du«, sagte er und rieb sich das Kinn. »Eine schreckliche Frau. Außen sanft wie Gänsedaunen, innen Eisen und Leder. Aber eins sage ich dir, Mädchen - er hat dich besser boxen als fechten gelehrt. Wie wär's jetzt mit Waffenstillstand?«
Miriel kicherte. »Waffenstillstand«, willigte sie ein.
Angel rieb sich das angeschwollene Kinn, als er hinter dem großen Mädchen her ging. Ein Tritt wie ein zorniges Pferd und eine fast genauso kräftige Faust. Er lächelte reumütig. Sein Blick verfolgte ihren Gang, anmutig und doch kraftvoll. Sie kämpft gut, dachte er, aber zuviel mit dem Kopf, zu wenig mit Instinkt. Selbst die Fausthiebe waren schlecht verdeckt gewesen. Doch Angel hatte zugelassen, daß Miriel sie austeilte, da er fühlte, daß sie ein Ventil für die Enttäuschung brauchte, so leicht besiegt worden zu sein. Eine stolze Frau. Und gutaussehend, dachte er zu seiner eigenen Überraschung. Angel hatte immer Frauen mit großen Brüsten bevorzugt, mollig und anschmiegsam, warm unter den Laken. Miriel war für seinen Geschmack etwas zu dünn, und ihre Beine waren zwar lang und schön geformt, aber ein wenig zu muskulös. Trotzdem: wie man so sagte, war sie eine
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