Im Reich des Wolfes
Windhauch strich durch die Luft, und Miriel schauderte. »Sie werden wiederkommen.«
Angel zuckte die Achseln. »Daran können wir nichts ändern, Miriel.«
»Nur warten?«
»Genau.«
»Das scheint dich nicht zu beruhigen.«
»O doch. Aber ich habe schon vor langer Zeit gelernt, daß es wenig Sinn macht, sich über Dinge zu sorgen, die man nicht beeinflussen kann. Wir könnten fliehen, nehme ich an, aber wohin? Wir wissen nicht, wo sie sind, und könnten ihnen direkt in die Arme laufen. Hier haben wir wenigstens den Vorteil, uns auf heimischem Boden zu bewegen. Und hier erwartet dein Vater uns zu finden. Deshalb warten wir.«
»Ich könnte den Spuren der Männer folgen«, schlug sie vor.
Er schüttelte den Kopf. »Morak war nicht bei ihnen, und Belash auch nicht. Ich möchte keinem von beiden nachspüren. Sie haben bestimmt Wachen aufgestellt, die von Bergen oder Bäumen herab Ausschau halten. Sie würden uns kommen sehen. Nein, wir warten auf Waylander.«
»Mir gefällt der Gedanke nicht, untätig herumzusitzen«, sagte sie.
»Ich weiß«, antwortete er, trat vor und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Das ist immer das schwierigste. Mir ging es genauso, wenn ich daraufwartete, in die Arena gerufen zu werden. Ich konnte das Klirren von Schwertern draußen hören, den Sand und die Sägespäne riechen. Mir war jedesmal übel.«
Miriels Augen verengten sich. »Es kommt jemand«, sagte sie.
Er fuhr herum, doch es war niemand zu sehen. »Wo?« Miriel deutete nach Süden, wo eine Schar Tauben von einer hohen Kiefer aufgeflogen war. »Es könnte dein Vater sein.«
»Könnte es«, gab sie zu, drehte sich auf dem Absatz um und ging in die Hütte. Angel blieb stehen, eine Hand auf dem Verandageländer, die andere um den lederumwickelten Griff seines Kurzschwertes gelegt. Miriel kam zurück, ein Schwert umgegürtet, ein Wehrgehänge mit Wurfmessern über die Schulter geschlungen.
Ein hochgewachsener Mann erschien am Rand der Lichtung, sah sie und schritt den Hang hinunter. Die Sonne glitzerte in seinem goldenen Haar. Er bewegte sich mit einer katzenhaften Anmut, arrogant, wie ein Herrscher in seinem Reich, dachte Miriel, in der Zorn aufstieg. Der Mann war in teures Rehleder gekleidet, das an den Schultern mit langen Fransen verziert war. Er hatte zwei Schwerter, kurze Säbel in schwarzen, mit Silber verzierten Scheiden. Seine Beinkleider waren dunkelbraun und steckten in schenkellangen, gelbbraunen Reitstiefeln, deren Schaft umgeschlagen war, so daß man das cremefarbene Seidenfutter sehen konnte.
Als er näher kam, verbeugte er sich mit einer weitausholenden Armbewegung in höfischer Manier. »Guten Morgen, Miriel.«
»Kenne ich dich?«
»Noch nicht, und das bedauere dich sehr.« Er lächelte beim Sprechen, und Miriel fühlte, wie sie rot wurde. »Ah, Angel«, sagte der Neuankömmling, als ob er den Gladiator jetzt zum erstenmal sähe. »Die Prinzessin und der Troll ... ich komme mir vor, als wäre ich mitten in ein Märchen geraten.«
»Wirklich?« entgegnete Angel. »Wenn ich dich sehe, habe ich das Gefühl, als wäre ich in etwas weit Unangenehmeres geraten.«
Der Mann kicherte mit aufrichtiger Belustigung. »Ich habe dich vermißt, Alter. Seit du die Arena verlassen hast, ist es nicht mehr dasselbe. Wie läuft dein ... Geschäft?«
»Gar nicht mehr, aber das wußtest du ja bereits.«
»Ja, irgend jemand hat es mal erwähnt. Ich war natürlich betrübt, das zu hören. Nun, möchte mir niemand ein Frühstück anbieten? Es ist ein langer Weg von Kasyra hierher.«
»Wer ist dieser ... dieser Lackaffe?« fragte Miriel.
»Ach ja. Bitte, stell uns vor, Angel, sei so gut.«
»Dies ist Senta, einer der gedungenen Mörder, die deinen Vater umbringen sollen.«
»Elegant ausgedrückt«, sagte Senta. »Aber man sollte darauf hinweisen, daß ich weder ein Bogenschütze noch ein Meuchelmörder bin, der aus dem Hinterhalt tötet. Ich bin ein Schwertkämpfer, meine Dame, wahrscheinlich der beste im Land.«
Miriels Finger schlossen sich um den Griff ihres Schwertes, doch Angel packte ihren Arm. »Er ist vielleicht eingebildet und eitel, aber er hat ganz recht«, sagte Angel, den Blick fest auf Senta gerichtet. »Er ist ein guter Schwertkämpfer. Also laßt uns Ruhe bewahren, ja? Mach etwas zu essen, Miriel.«
»Für ihn? Nein!«
»Vertrau mir«, sagte Angel leise, »und tu, um was ich dich bitte.«
Miriel blickte in seine steingrauen Augen. »Willst du das wirklich?«
»Ja«, sagte er schlicht.
Ihre Hände
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