Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
hatte auf sie gehört. Der große Häuptling hatte auf seine kleine Tochter gehört. Sie wusste sehr wohl, dass sie allen, wirklich allen Barbs intellektuell haushoch überlegen war. Sie wusste, dass sie manchmal mit dieser Gabe spielte, sie für sich nutzte. Dass sie sich durch dieses Wissen hin und wieder überheblich fühlte, machte die Sache nicht unbedingt einfacher.
Sie verdrängte den Gedanken und zwang sich, bei der Sache zu bleiben. Denn hier und jetzt wollte sie nur eines sein: Besser sein als ein Mörder. Sein wie eine Barb. Wie eine kluge Barb.
Burrl kratzte sich den Schädel, stellte seinen Hammer neben die Esse und stapfte zum Bierfass. Er nahm seinen Krug vom Boden auf, füllte ihn und leerte ihn mit einem Schluck. Mit wütender Geste stopfte er sich einen gebratenen Truthahnschenkel zwischen die Zähne. Er wischte sich den fettigen Mund mit dem Handrücken ab, zog die Nase hoch, rotzte aus und kam zu Bob und dessen Familie. »Wir haben einen Feind, soviel steht fest.«
»Unser Feind ist nicht Bamig, auch wenn es absurd klingen mag«, meinte Bluma. »Unser Feind ist der Ärger . Wir müssen den Grund dafür finden und den Ärger besiegen, sonst wird er uns besiegen und unsere Lebensgemeinschaft vernichten.« Sie hatte das Wort Ärger nicht gesprochen, sondern regelrecht ausgespien.
»Ihr habt gehört, was Bluma gesagt hat?« Bob sah die Männer und Frauen der Reihe nach an. Einer der Männer trat vor. Er kratzte sich den Bauch. »Häuptling Bob, Ihr lasst euch von einem Kind vorschreiben, was zu tun ist? Ich mag nicht glauben, was ich höre und sehe.«
Bob nickte. »Ja, Bommokk! Denn sie ist kein Kind mehr. Sondern eine kluge Frau .«
Einige Barbs kicherten. Die Fackeln zuckten.
Bluma wurde es warm ums Herz. Sie war stolz auf die Urteilskraft ihres Bobba. Stolz auf seinen Mut, herrische Prinzipien gegen Vernunft zu tauschen. Sie liebte ihn in diesem Moment mit besonderer Inbrunst.
Bluma wusste, dass ihr andauerndes Spiel unerschöpflicher Wissbegierde sehr früh begonnen hatte. Schließlich wurden die alten Geschichten erzählt, manchmal kombiniert mit Gelächter oder verschmitzten Lächeln. Burrl hatte mal gesagt, sie habe nur deshalb sprechen gelernt, um alle Dorfbewohner mit Fragen zu quälen. Sie saugte Antworten auf, wog ab und dachte nach, doch viel wichtiger war, es entstanden immer neue Fragen, als zöge sie Stecklinge aus Stecklingen.
Und das war anstrengend!
Biggert trat vor. Er verbeugte sich vor Bob. Der Lehrer war dünn wie eine Gerte und einen Kopf größer als der Häuptling. Stets wirkte es, als knicke der Mann in der Mitte zusammen. Seine dürren Beine machten ausgreifende Schritte, und Bob fragte sich ein ums andere Mal, wie dieser seltsame Mann überhaupt das Gleichgewicht halten konnte. Der Schwerpunkt lag eindeutig auf den Schultern, denn der Kopf war groß, rund und unbehaart. Wie ein Kürbis auf einem Grashalm. Ein Mann, ungeeignet zum Wareikenpflücken , dafür umso mehr, um den Kleinen die Hohe Sprache beizubringen und viele andere Dinge.
»Da wir Blumas Aussage nicht anzweifeln, wissen wir, dass Bamig der Täter ist!«, sagte Biggert mit harter Stimme. Seine Entschlossenheit war bekannt und im Kreise seiner Schüler berüchtigt. Lehrer Biggert redete niemals drum herum. Wenn er etwas sagte, dann hatte man sich danach zu richten, und wenn er etwas versprach, hielt er sich daran. Der Lehrer gestikulierte mit den Armen wie ein Grashüpfer. Er faltete sich neben Bob auf einen Holzblock zusammen. Er stand nicht gerne, was mit den dünnen Beinchen zusammenhängen mochte.
Bob zog die Nase hoch. »Wir haben keine natürlichen Feinde. Wer also will was von uns? Wer stört unseren Frieden?«
Bluma fuhr fort: Grubentrolle sind zu klein und harmlos, außerdem brauchen wir uns gegenseitig. Wir sind nicht dafür geschaffen, um in die Berge zu kriechen und die Trolle sind zu dumm, um Getreide anzubauen oder Wareiken zu ernten. Nein - unser Feind ist unsichtbar. Unser Feind kommt – aus der Luft, aus uns heraus, ist hier drinnen!« Sie schlug sich mit der Handfläche auf die Brust.
Ein anderer Mann gesellte sich aus dem Halbschatten zu ihnen. Sein Ziegenfellwams war kunstvoll schwarz gefärbt. Seine Beine steckten in schwarzem Leder. Auf seinen abstehenden Ohren ruhte eine Lederkappe. Er war der einzige im Dorf, der Wert auf exquisite Kleidung legte, wofür ihn die Barbs hin und wieder aufzogen. Das schmale rasierte Kinn stand im krassen Gegensatz zu der breiten Stirn, die ihm
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