Im Schatten der Leidenschaft
ihn eines Tages wieder in ihr Leben aufnehmen wollen.
Er ging zur Tür und starrte mit blicklosen Augen in den hellen Morgen hinaus, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. War dieser außergewöhnliche Besuch die Erklärung für die seltsame Nachricht, die er letztes Jahr bekommen hatte? Von einem Boten direkt aus dem Witwenhaus in Shipton über das Tal herübergebracht, wo Elizabeth seit dem Tod ihres Mannes gelebt hatte. In dem kaum leserlichen Gekritzel hatte es nur geheißen, sie wisse, er werde sein vor vielen Jahren gemachtes Versprechen halten, ihr zu Diensten zu sein, wie und wo und wann auch immer sie ihn brauchen würde. Es hatte keine weitere Erklärung gegeben, keine Worte der Freundschaft, kein Anzeichen dafür, daß dies ein Anfang für etwas sein könnte, worauf er all die Jahre gewartet hatte. Selbst aus der schwachen Unterschrift, die über den Rand der Seite hinaus verschwand, war für ihn nur der Eindruck der Flüchtigkeit entstanden.
Jene Nachricht hatte ihn erneut mit soviel Zorn und Sehnsucht erfüllt, daß er sie zerrissen hatte und versucht, sie zu vergessen. Seit der Krieg zu Ende war und er die Marine verlassen hatte, hatten sie mit nur sieben Meilen Entfernung voneinander gelebt. Sie hatte nicht versucht, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, und er war durch sein Ehrenwort daran gebunden, ihre Wünsche zu respektieren, selbst nach so vielen Jahren. Und dann nur eine hingekritzelte Nachricht ... eine Forderung. Und jetzt dies.
Er wandte sich wieder zur Eingangshalle um. Der Hund war zu Chloe hinübergegangen und hatte sich zu ihren Füßen gesetzt, von wo er voller Verehrung zu ihr aufsah.
»Würde mich nicht wundern, wenn die Briefe in der Bibliothek liegen«, bemerkte Samuel und betrachtete dabei eingehend seine Fingernägel. »Bei den anderen, die Sie auch nicht gelesen haben. Ich hab’ immer gesagt, daß eines Tages doch ’was Wichtiges dabeisein wird.«
Hugo warf dem Mann einen finsteren Blick zu, der sein Gefährte und Diener war, seit er mit zwanzig zur See gegangen war. Wie üblich hatte Samuel recht. Das Klopfen in seinem Kopf wurde durchdringend, und er wußte, daß er keine Minute länger so weitermachen konnte. »Sorgen Sie dafür, daß der Hund aus dem Haus verschwindet«, befahl er und ging auf die Treppe zu. »Und bringen Sie die verdammte Katze und ihren Wurf in den Stall, wo sie hingehören ... und decken Sie auch noch den Papagei zu«, ergänzte er finster, als der Vogel ein weiteres Beispiel seines zweifelhaften Wortschatzes zum Besten gab.
»O nein!« rief Chloe. »Dante wohnt im Haus!«
Hugo sah sich mit einer vorsichtigen Bewegung nach ihr um. »Dante?« fragte er voller Unglauben. »Dieser Hund heißt Dante?«
»Ja, weil er aus einem Inferno gekommen ist«, teilte sie ihm mit. »Ich habe ihn bei einem Fest vor einem großen Feuer gerettet, als er noch ein Welpe war. Ein paar Bengel hatten ihn angebunden und zündeten gerade das Feuer um ihn an. Ursprünglich hatte ich daran gedacht, ihn Johanna von Orleans zu nennen«, fügte sie hinzu, »bis ich bemerkt habe, daß das Geschlecht nicht stimmte.«
»Ich glaube, ich will lieber nichts mehr davon hören«, sagte Hugo. »Nein, ich bin sicher, daß ich nicht noch mehr hören will.« Er wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Ich habe heute nacht noch nicht geschlafen, also gehe ich jetzt hinauf, und dort werde ich, vermutlich zum ersten Mal, seit ich kein Kleinkind mehr bin, wieder meine Gebete sprechen. Und wenn ich erwache, vertraue ich voller Glauben, daß meine Gebete erhört worden sind und sich herausstellen wird, daß dieses ...« Seine Hand deutete mit einer umfassenden Bewegung auf die ganze Szene in der Eingangshalle. »Daß all dieses nicht mehr war als nur die schrecklichen Auswirkungen meiner gestörten Einbildungskraft.«
Der Papagei keckerte in einer unschönen Imitation eines hysterischen Trunkenboldes. »Laßt sofort diese Menagerie von hier verschwinden!« Und nach dieser, wie er hoffte, entschiedenen Feststellung entfernte sich Sir Hugo Lattimer und verschwand in der Normalität seines Schlafzimmers, während er nur noch schwach die leisen Wimmertöne Miss Ansteys hinter sich hörte.
Er litt an chronischer Schlaflosigkeit und holte sich seinen Schlaf in kurzen Schlummerphasen. Zehn Jahre mit Nachtwachen aus seiner Zeit als Seemann hatten aus einer Neigung eine unveränderliche Gewohnheit gemacht, die ihm durchaus willkommen war, da Alpträume ihn nachts heimsuchten, während der
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