Im Schatten der Pineta
wo er Zitronen zerteilt, eine Aufgabe, die ihn so vollkommen in Anspruch zu nehmen scheint wie einen Buddhisten die Meditation. Und in der gleichen seelenruhigen Art antwortet er: »Es gibt keinen caffè . Zu heiß heute. Später. Vielleicht.«
»Jetzt hör mir verdammt noch mal gut zu. Ich hab den Krieg in Abessinien mitgemacht, und da meinst du, es wär hier zu heiß, um einen caffè zu trinken?«
Den Kopf noch immer über den Ausguss gebeugt, erwidert Massimo: »Es ist nicht zu heiß, um einen zu trinken. Es ist zu heiß, um einen zu machen. Würdest du tatsächlich von mir verlangen, mich vor dieses türkische Dampfbad zu stellen und wie ein Schwein zu schwitzen? Für einen erbärmlichen, mickrigen caffè , der mir nicht einmal besonders gut gelingen würde, bei dieser Luftfeuchtigkeit? Trink lieber einen schönen Eistee, ich lad dich ein.«
»Einen Eistee, ja? Wenn ich gewollt hätte, dass mir schlecht wird, hätte ich auch zu Hause bleiben und mir mit deiner Großmutter diesen Michele Cucuzza in der Glotze anschauen können! In diese Bar setze ich nie wieder einen Fuß!«
Schließlich hebt Massimo doch den Kopf.
Er ist um die dreißig, hat lockiges Haar, Bart; sein leicht arabischer Einschlag wird noch unterstrichen durch das lange Piratenhemd, das ihm bis zu den Knien reicht und auf wundersame Weise unempfindlich gegen Schweißflecken zu sein scheint. Er hat einen Silberblick, ein wenig verdrießlich, den er jetzt kurz zur Decke wendet, aber nicht theatralisch. Dann, den Blick wieder auf die Zitronen gesenkt, sagt er: »Schau, Großvater, das hier ist die einzige Bar in ganz Pineta, wo man dich duldet, und zwar nur deshalb, weil sie mir gehört. Also, wenn du unbedingt einen caffè willst, warte zwei, drei Stunden, schließlich musst du ja nicht zur Arbeit.«
»Dann gib mir halt einen Grappa, und der Schlag soll sie treffen, meine Tochter!«
Ampelio ist wieder an den Tisch zurückgekehrt; Aldo, der Besitzer des Restaurants Boccaccio, mischt die Karten. Er fragt: »Scopa, Briscola oder Tressette?«
Die anderen zwei Gäste am Tisch heben die Köpfe; Gino Rimediotti, dem man jedes seiner fünfundsiebzig Jahre ansieht, antwortet wie immer: »Mir ist jedes Spiel recht, solange ich nicht mit dem da zusammenspielen muss.«
»Schlaumeier. Als ob das immer meine Schuld wär …«
»Und ob das deine Schuld ist! Du kannst dir nie merken, welche Karten schon abgelegt worden sind, nicht mal unter Androhung der Todesstrafe.«
»Gino, ich mag dich wirklich, aber jetzt hör mir mal zu: Jemand, der so auffällig zwinkert, als hätte er Sand in den Augen, sollte lieber den Mund halten. Wenn du die Drei hast, muss man Angst haben, dass du gleich ’n Herzinfarkt kriegst. Da merken sogar die Leute drinnen in der Bar, welche Trümpfe du auf der Hand hast.«
Der vierte Mann heißt Pilade Del Tacca; er schaut auf vierundsiebzig ruhige Lenze zurück und schleppt zufrieden ein paar überzählige Pfunde mit sich herum. Die Jahre harter Arbeit bei der Gemeinde von Pineta, wo man nichts gilt, wenn man nicht mindestens viermal an einem Morgen frühstückt, haben ihn sowohl physisch als auch charakterlich geformt: Nicht nur sein Benehmen lässt zu wünschen übrig, er ist auch eine ziemliche Nervensäge.
Aldo beendet das Kartenmischen; ein kritischer Moment. Mit neutraler Stimme erklärt er, es gehe nicht an, dass jedes Mal er oder Ampelio entscheiden müssten, nur damit sich Del Tacca anschließend beschweren könne, »dass immer wir entscheiden. Entweder ihr entscheidet, oder wir machen was anderes.«
Ampelio meldet sich zu Wort. »Mir macht’s nichts aus, zu entscheiden, und wenn’s nicht passt, ändern wir halt die Paare.«
Del Tacca fragt: »Wenn’s wem nicht passt?«
Gino schlägt vor: »Der Schlampe von deiner Mutter – wem sonst? Uns allen, oder was?«
Die Luft ist zum Schneiden dick, von der frischen Brise ist nichts mehr zu spüren.
Mitten in das Schweigen tritt jetzt Massimo, der aus der Bar kommt und sich einen Stuhl heranzieht, um sich zu dem Grüppchen zu setzen.
Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt den Kartenstapel und sagt: »Tiziana kann sich ’ne Weile allein um die Bar kümmern, um die Zeit kommt sowieso niemand. Wie wär’s mit einer Fünfer-Briscola?«
Es müssen nicht mal mehr Blicke gewechselt werden; die Augen werden wieder lebhaft, die Gläser geleert, Ellbogen auf den Tisch gestemmt, und los geht’s.
Briscola zu fünft ist immer gut.
Ungefähr sechs Monate zuvor übertönte
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