Im Schatten des Galgens Kommiss
Stimme: „Es scheint euch sonderbar vorgekommen zu sein, daß ich euch ohne weiteren Erläuterungen gebeten habe, den heutigen Abend mit mir zu verbringen. Ich sehe es euren Gesichtern an, daß ich recht habe. Aber nun sollt ihr den Grund hierfür erfahren."
Noch einmal zögerte F. Howard Whitmen. Und während sein Blick von seinem Sohn zu dem Mädchen an dessen Seite wanderte, wurden seine Lippen schmal. „Es geht um das Erbe der Whitmens, — darum oder darüber will ich mit euch sprechen."
Bestürzt blickten die beiden jungen Menschen auf den Sprecher. Erstaunen und Verblüffung stand deutlich in ihren Gesichtern geschrieben. Bevor sie aber Einwände in dieser Beziehung machen konnten, die dahingehen sollten, daß es doch bestimmt noch nicht an der Zeit sei, darüber jetzt schon zu sprechen, da F. Howard Whitmen noch über Jahre hinaus selbst der Besitzer bleiben würde —, fuhr dieser schon fort:
„Zerbrecht euch über meine plötzliche Handlungsweise jetzt nicht die Köpfe. Ich habe mir diesen Schritt wohlweislich überlegt. Hört darum zu . . .“
Wieder sahen sich Sheila Longden und der junge Whitmen verständnislos an. Viele Fragen lagen auf ihren Lippen. Doch sie respektierten den Wunsch des Alten und zwangen sich zum Schweigen.
F. Howard Whitmen sprach weiter: „Bevor ich zu meinem sehnlichsten Wunsche komme, hört, wie ich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden habe."
Atemlose Stille herrschte plötzlich in dem Salon von „Whitmen-Castle", — und in diese Stille hinein fielen die Worte des alten Industriellen wie schwere Wassertropfen:
„Daß du, mein Sohn, später unsere Werke weiterführen wirst, ist eine Selbstverständlichkeit. Dein Vermögen wird aber nicht die Höhe haben, das die Whitmen-Werke zur Zeit aufweist. Vielmehr habe ich auf den Namen eines Mannes ein weiteres Konto eröffnet. Auf den Namen eines Mannes, dem ich es zum größten Teil verdanke, daß wir zur Zeit noch konkurrenzlos mit unserer Produktion auf dem Markte stehen. Da dieser Mann aber nicht mehr unter uns weilt, wird der Nutznießer dieser Summe, es handelt sich um ein Drittel unseres Gesamtvermögens, sein leibliches Kind sein..."
Noch bevor F. Howard Whitmen den Namen des Mannes über seine Lippen brachte, fühlte Sheila Longden eine heiße Blutwelle in sich hochsteigen. So großherzig konnte doch kein Mensch sein, daß er . . . Noch hatte Sheila Longden ihren Gedanken nicht zu Ende gedacht, als sie das für unmöglich Gehaltene vernahm.
„Sheila", wandte sich der Industrielle an das Mädchen, „du braucht nicht so bescheiden zu sein — und schon gar nicht wie eine Erbschleicherin aussehen. Was das Haus Whitmen deinem Vater verdankt, weiß kein anderer besser als ich einzuschätzen. Und was ich dir überschrieben habe, ist bestimmt kein Geschenk von mir, sondern nur das, was dir zu Recht zusteht. Ich habe lediglich deinen Anteil bis zum heutigen Tage verwaltet, mehr nicht."
Nun konnte das Girl nicht mehr an sich halten. Es brach es aus ihr heraus: „Aber Mister Whitmen, was reden Sie da. Ich habe schon mehr Gutes von Ihnen erfahren, als daß es nicht damit genug wäre. Ich kenne zwar meinen Vater nur von einigen Bildern her, doch glaube ich nicht, daß er mir das Leben und die Ausbildung hätte zuteil werden lassen können, wie Sie es getan haben. Lassen Sie es bitte damit bewenden. Ich habe mein Doktorexamen gemacht und werde damit mein Leben schon allein bestehen können. Bitte, sprechen Sie nicht mehr davon. Und wenn Sie ein derartiges Testament gemacht haben sollten, was meiner Meinung nach bei einem Menschen von Ihrer Konstitution überhaupt verfrüht ist, so lassen Sie es bitte wieder ändern . . . Ich, ich . . .“
Völlig außer Atem hatte sich Sheila Longden geredet. Jetzt verfing sie sich in ihren eigenen Worten. Diese Bescheidenheit und der Mut des Girls, ein derartiges Vermögen so einfach in den Wind zu schlagen, verursachte bei dem alten Whitmen ein selbstgefälliges Lächeln. Doch sie kannte F. Howard Whitmen schlecht. Was dieser harte Mann sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, führte er auch durch.
So wie jetzt, da er leicht abwinkte und augenzwinkernd meinte: „Das Geld steht dir nun einmal zu, da gibt es nichts mehr daran zu rütteln. Aber es gibt eine andere Möglichkeit, das Geld dort zu belassen wo es bisher war."
Offensichtlich und sehr deutlich waren seine Augen während dieser Worte zwischen seinem Sohn und dem Girl hin und hergewandert. Sowohl Bud Whitmen, als auch
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