Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
nahm die Hand vom Gesicht, und der Ritter holte keuchend Atem und würgte.
Der trübe Lichtschein einer Fackel schimmerte auf der Wasseroberfläche. Ulrich erkannte, dass zwischen ihr und dem Gewölbe mindestens eine Armlänge Freiraum war, den es vor wenigen Augenblicken noch nicht gegeben hatte.
Der Wasserspiegel war gefallen.
Er weigerte sich, daran zu glauben. Sah es so aus, wenn man vom Leben in den Tod hinüberglitt? Wurde einem die Rettung aus der ausweglosen Situation vorgegaukelt, während man in Wahrheit darin umkam?
»Ich saufe ab«, hörte er Jörg gurgeln.
»Keine Angst, ich hab dich«, hörte er sich erwidern.
»Mehr Fackeln!«, vernahm er dann den Ruf einer Frauenstimme. »Wir brauchen Stangen! Und Seile! Vielleicht ist es noch nicht zu spät!«
Ganz langsam und zögernd stieg der Gedanke in ihm auf, dass sie gerettet waren.
Kapitel 37.
B arbara hatte gedacht, das Öffnen der Tür würde die Männer dort unten gerettet haben, doch als sie den Körper in der Mönchskutte wie ein Lumpenbündel unweit der Türöffnung liegen sah, stiegen die Tränen in ihr hoch. Sie hörte, wie Tiberius ungeduldig ihre Anforderung nach mehr Fackeln weitergab. Der Knabe, der in Tiberius’ Haus offenbar die Funktion des guten Geistes erfüllte und der entsetzt auf der letzten trockenen Stufe der Treppe vom Erdgeschoss hier herunter stehen geblieben war, bewegte sich nicht. Tiberius watete auf ihn zu und spritzte ihm eine Hand voll Wasser ins Gesicht. Der Knabe keuchte auf und starrte seinen Herrn an.
»Hast du nicht gehört?«, knurrte Tiberius.
»Das Wasser … Patron, wo kommt das Wasser her?«
»Von oben«, sagte Tiberius ungeduldig. »Lauf und hol Fackeln, ein paar von den langen Vorhangstangen und Seile.«
»Wo soll ich denn Seile …?«
»Nimm die, mit denen der päpstliche Legat sich immer fesseln lässt. Wenn der Kerl noch dranhängt, dann sag ihm, dass er heute keine Taufzeremonie vornehmen kann, es sei denn, er kommt hier runter und tunkt seine Süße in diese Brühe. Und jetzt lauf!«
Der Junge warf sich herum und stolperte die Treppe hinauf.
»He!«, rief Tiberius ihm hinterher. »Und dann zähl die Weiber durch, ob noch alle da sind. Nicht, dass am Ende eine hier runtergespült und ertränkt wurde.«
Barbara konnte ihre Augen nicht von dem Lumpenbündel wenden, das bei der Tür lag und vom hin- und herschwappenden Wasser umspült wurde. Sie streckte die Hand aus und nahm Tiberius die Fackel ab.
»He!«, rief dieser, worauf der Junge noch einmal die Treppe herunterkam und ihn mit weit aufgerissenen Augen anblickte. »Und sieh nach, ob der Mailänder schon zu sich gekommen ist, wir können ihn hier brauchen.«
Das Wasser war mit Urgewalt durch die geöffnete Tür geschossen, hatte Barbara und Tiberius zuerst überschüttet und ihre Fackel gelöscht und ihnen dann die Füße weggerissen, hatte sie übereinander purzeln lassen wie Puppen und sie schließlich, bis auf die Haut durchnässt, zum Fuß der Treppe geschwemmt, wo es aufgespritzt war wie der Rhein gegen die Hafenanlagen, wenn ein stürmisches Unwetter tobte. Das Wasser war hin- und hergeschwappt und hatte Wellen geworfen, die zuerst Tiberius, der sich aufgerichtet hatte, von den Füßen geholt hatten, und dann Barbara, als sie zu früh glaubte, die Aufregung habe sich gelegt. Schließlich waren die Wassermassen halbwegs zur Ruhe gekommen und hatten sich auf einen Pegel gesenkt, der ihnen bis knapp zu den Knien reichte, als sie endlich festen Stand gefunden hatten. Im Licht der Fackel, die der fluchende und Wasser spuckende Tiberius dem entsetzten Knaben aus der Hand gerissen hatte, als dieser wenige Augenblicke später erschienen war, zeigte der trübe See im Gang eine kabbelige Dünung, die an den Wänden entlang aufspritzte. Was sich hinter der aufgesprengten Tür befand, lag in völliger Dunkelheit, doch Barbara hörte das Schwappen und Glucken und Spritzen einer gewaltigen Wassermasse, die sich an ihr neues Gefängnis zu gewöhnen versuchte.
Barbara stapfte zu dem Kuttenbündel hinüber und leuchtete mit der Fackel. Nur der Umfang des Bündels und eine gewisse Schwere angesichts des unruhigen Wassers verrieten, dass ein menschlicher Körper darin steckte – der grobe, weite Kuttenstoff war schwarz im Halblicht und hatte sich so sehr um seinen Träger gewickelt, dass man keine Gliedmaßen und schon gar kein Gesicht erkennen konnte. Etwas schaukelte in der Nähe auf den Wellen; Barbara bewegte die Fackel dorthin: Es war eine
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