Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
den Hals gewünscht haben.«
Cäcilie dachte nach. »Die schwarzen Männer brauchen nicht unbedingt etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Vielleicht waren es Diebe, die nur zufällig zur gleichen Zeit auf der Straße unterwegs waren.«
»Es könnte ein Raubmord gewesen sein, ausgeführt von einem einzelnen Menschen.«
Es war still geworden im Kontor, nur die große Standuhr tickte. Moritz dachte über die Möglichkeiten nach, die Cäcilie aufgezeigt hatte. »Sind wir jetzt schlauer?«, fragte er.
»Ich fürchte, nein.«
»Wie war es sonst beim Dinner am Sonnabend?«
»Wirklich nett. Du glaubst es nicht, wer alles mit uns am Tisch saß.«
Sie zählte die Teilnehmer der illustren Gesellschaft auf, den netten Engländer überging sie. Moritz wurde ganz verzagt bei dem Gedanken, in welchen Kreisen sie sich bewegte. Hatte sie wirklich mit diesen Leuten gesprochen, die man nur vomHörensagen kannte oder von denen man vielleicht einen Blick erhaschte, wenn sie in der Kutsche vorbeifuhren?
Wahrscheinlich wird er mich gleich küssen wollen, dachte Cäcilie. Aber das geht nicht. Ich kann mich nicht mit diesem netten englischen Gentleman verabreden und gleichzeitig einen anderen Mann küssen. Das machen vielleicht die Mädchen im Hafen, ich jedenfalls nicht!
Etwas stimmt nicht, dachte Moritz. Ich kann ihre Frühlingsblumen nicht mehr riechen. Außerdem schaut sie immer an mir vorbei. Was ist nur los?
Mitten in seine Gedanken hinein dreht sich Cäcilie plötzlich um und rannte die Treppe hinauf.
Moritz schaute an sich herunter. Im flackernden Schein der Kerze sahen seine Jacke und die Hose wirklich schäbig aus. Nun ja, dachte er, wer in diesen vornehmen Kreisen verkehrt, der will ganz sicher nichts mit einem Kontorlehrling zu tun haben, dessen Vater Arbeiter im Hafen ist.
Mit jeder Stufe, die Cäcilie die Treppe höher stieg, wurde ihr Herz schwerer. Armer Moritz, dachte sie, wie er dasteht mit traurigen Augen. Ich will ihm nicht wehtun, er ist doch wirklich ein treuer Freund. Sie machte kehrt und ging die Treppe wieder hinunter. Moritz stand noch genauso da. Sie blieb auf der letzten Stufe stehen, lächelte wehmütig, warf ihm einen Handkuss zu und rannte wieder hinauf, diesmal endgültig.
Wie ein Abschiedskuss, dachte er.
Moritz schlurfte die dunkle Straße entlang und kickte einen Stein vor sich her. Am Ende der Brandstwiete ging er nicht geradeaus zur Holländischen Reihe, sondern bog nach rechts zum Zippelhaus ab. Was soll ich zu Hause?, dachte er.
Er stapfte über die Mühren und am Binnenhafen entlang. Dort setzte er sich auf einen Poller und rieb sich die Schienbeine. Sie schmerzten, wie so häufig in der letzten Zeit. Vor ein paar Tagenhatten sich seine Eltern über ihn unterhalten, er hatte es durch die dünnen Wände gehört. Der Junge wächst wie verrückt, hatte die Mutter gesagt, ich kann kaum nachkommen mit dem Verlängern der Hosen. Seine Stimmungsschwankungen machen mir mehr Sorgen, hatte der Vater geantwortet, er schaut oft so bedrückt, so unglücklich. Das ist normal in diesem Alter, das kennst du doch noch von Jan, hatte die Mutter erklärt, irgendwann legt sich das wieder. Aber diese viel zu kurzen Hosen …
Die Segler im Hafen, die im Päckchen nebeneinanderlagen, brachten Moritz auf merkwürdige Gedanken. Vielleicht sollte ich als Schiffsjunge anmustern. Einfach weggehen, nie wieder zurückkommen. Ja, das werde ich tun! Auf jeden Fall sollte ich noch einen Abschiedsbrief schreiben, damit sich Cäcilie grämt. Dann dachte er an seine Eltern und Jette und beschloss, die Sache mit dem Anheuern noch etwas zu verschieben.
Bei Kapitän Westphalen am Steinhöft brannten die Kerzen. Moritz widerstand dem Drang, hineinzugehen und ihm sein Herz auszuschütten. Schnell eilte er vorbei, in Richtung der Vorsetzen.
»Halt!«, donnerte es hinter ihm.
Erschrocken drehte sich Moritz um. Der Klabautermann stand vor seinem Haus, breitbeinig, drohend.
»Wo willst du hin, Moritz?«
»Ach, nur die Beine vertreten. Es ist ein so schöner Abend.«
»Du willst doch nicht etwa in die Neustadt? Das ist kein Pflaster für einen Jungen. Schon gar nicht in der Dunkelheit. Zu viel Gesindel dort. Männliches wie weibliches.«
Moritz machte kehrt und schlurfte nach Hause.
Seit Jette erzählt hatte, dass sie vielleicht weggehen müsse, hatte sich ihr Verhältnis verändert – sie rückten noch näher zusammen. Auch an diesem Abend lehnte Jette ihren Kopf gegen seine Brust, und wieder schnupperte Moritz an
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