Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Hohen Brücke machte Moritz wie üblich Halt und beobachtete das geschäftige Treiben im Nicolaifleet. Gerade hatte die Besatzung eines Ewers den Mast heruntergelegt undsteuerte von der Elbe kommend auf die Brücke zu. Mit lauten Rufen warnten sie die Schiffsleute auf der anderen Seite vor der Gefahr einer Kollision. Geschickt steuerten der Schiffer und der Matrose das schwer beladene Schiff mit Bootshaken ins Fleet. Wenn sie die an den Hauswänden eingelassenen Ringe nicht erreichen konnten, zogen sie sich einfach an den dort festgemachten Schuten und Ewern vorwärts. Deren Besatzungen waren davon überhaupt nicht begeistert, denn ihre Fahrzeuge schwankten stark, was die Arbeit erschwerte. Direkt unter Moritz wuchteten kräftige Männer Tuchballen in das Innere eines Speichers, etwas weiter entfernt wurden mit einer Haspelwinde Säcke in höher gelegene Stockwerke gezogen. Moritz beobachtete einige Arbeiter, die sich schwere Körbe auf die Schulter luden und in den schmalen Gang stapften, der zur Deichstraße führte. Alles war schwarz an ihnen: die Körbe, die Kleidung und ihre Gesichter. Sie waren über und über mit Staub gepudert. Kohlenarbeiter, dachte Moritz, kein besonders angenehmer Beruf. »Schwarze Männer!«, schoss es ihm durch den Kopf. Die schwarzen Männer, die der Schauermann in der Nacht gesehen hatte, mussten Kohlenträger gewesen sein, da war er sich plötzlich ganz sicher.
Moritz’ Gedanken überschlugen sich: Kohlenträger, Kohlenschauerleute, Kohlenjumper. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Die nächtlichen schwarzen Männer waren Kohlenjumper, schließlich arbeiteten die immer zu viert, einer an jeder Ecke der Ladeluke. Und der Schauermann hatte doch von der Kellertreppe aus drei oder vier dieser Gestalten gesehen.
Was sollte er nun machen? Zur Polizei gehen? Nein, als Kind ging man nicht zur Polizei, dort fing man sich schnell eine Maulschelle wegen groben Unfugs ein. Seine Eltern, den Klabautermann oder den Patron informieren? Eher nicht. Er musste die Mörder allein stellen, zumindest ihre Namen herausbekommen. Sicherlich würde er von den Elbrand-Söhnen eine Belohnungbekommen, in der »Hamburger Börsenhalle« würde über ihn geschrieben, und Cäcilie würde ihn in einem neuen Licht sehen. Vielleicht als Helden, jedenfalls ein bisschen.
Aufgekratzt eilte Moritz zum Steinhöft. Dort traf er auf Hinrich Quast, der sich gerade an der Pforte zu schaffen machte. Der Schiffszimmermann inspizierte den alten Pfosten, rüttelte daran und schüttelte dann missmutig den Kopf. »Muss ausgewechselt werden.«
Während sich Kapitän Westphalen über die Briefentwürfe beugte, betrachtete Moritz dessen Erinnerungen an den Wänden.
Der Klabautermann blickte von seiner Arbeit hoch. »Du solltest dir genau anschauen, wie Hinrich arbeitet. Da lernst du etwas fürs Leben.«
Das stimmte. Der Zimmermann schlug gerade mit einem Beil einen Balken zurecht. Er arbeitete konzentriert, jeder Schlag saß, schnell hatte er den Pfosten in die richtige Form gebracht. Jetzt setzte er das Holz probehalber ein. Es passte genau, Moritz hätte kein Blatt Papier zwischen Pfosten und Dielenboden schieben können.
»Ich habe noch niemanden gesehen, der so geschickt mit einem Beil umgehen kann«, sagte Moritz verblüfft.
Hinrich Quast blinzelte vergnügt. »So etwas lernt man von den russischen Zimmerleuten. Die müssen als Gesellenstück einen Fensterrahmen zimmern. Nur mit einem Beil.«
Nachdem Quast den Balken endgültig eingesetzt hatte, schnitzte er mit dem Arbeitsmesser eine Verzierung hinein. Auch hier saß jeder Schnitt, doch als ihn ein heftiger Hustenanfall schüttelte, musste er das Messer weglegen. Moritz griff danach, um den kunstvoll verzierten Griff aus gelblich-weißem Material näher zu betrachten.
»Nicht anfassen!«, rief der Zimmermann. »Sehr scharf. Du könntest dich verletzen.«
Schnell legte Moritz das Messer weg.
»Das ist ein Finndolch. Aus bestem schwedischen Stahl. Und der Griff ist aus Rentiergeweih.«
Hinrich Quast war heute nicht so maulfaul wie sonst, und Moritz nutzte die Gunst der Stunde. Geschickt lenkte er das Gespräch auf die Kohlendampfer, für die der Zimmermann nur ein verächtliches Schnauben übrig hatte. Schließlich fragte Moritz nach den Kohlenjumpern. »Ein schwerer Beruf«, sagte er.
Quast zuckte mit den Schultern. »Alle Berufe im Hafen sind schwer.«
»Haben diese Leute eine Vereinigung?«
Kapitän Westphalen legte die Feder beiseite und hörte
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