Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
sich Jan zu Wort. »Tag und Nacht.«
»Lasst uns jetzt schlafen gehen«, sagte der Quartiersmann noch einmal. »Heute wird der Brandstifter nicht wiederkommen. Morgen werden wir die Wache organisieren. Jeder im Hof kommt einmal dran, dann sind die Lasten gleichmäßig verteilt.«
16
Nach diesem aufregenden Wochenende hätte Moritz gern mit jemanden über den »Schauermann im Keller« und über den »Brand im Hof« gesprochen. Doch Roger war im Gefängnis, Alexander Schröder sprach nicht mit einem Lehrling, und Herr Harms war Kontorvorsteher, mit dem besprach man keine persönlichen Dinge. So blieb Moritz allein mit seinen bedrückenden Gedanken. Mit mürrischem Gesicht klappte er sein Pult auf und machte zwei Striche auf das Blatt. Zwanzig Tage saß Roger nun schon im Gefängnis. Wie schrecklich.
Nachdem er am Nachmittag am Steinhöft gewesen war, um einen Briefentwurf übersetzen zu lassen, stand er nun, am Abend, im verlassenen Kontor des Speichers und übertrug den Brief in Reinschrift, damit er am morgigen Vormittag bei der Post von Thurn und Taxis aufgegeben werden konnte. Im Schein einer Kerze malte er die englischen Wörter aufs Papier. Das machte ihm mehr Spaß als Briefe in Deutsch zu schreiben, bei denen es nur um stupides Abschreiben ging. Hier jedoch bemühte er sich, die englischen Wörter auswendig zu lernen, und bei vielen kannte er inzwischen auch die deutsche Bedeutung. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er die Schritte auf der Treppe überhörte.
»Bist du allein?«, flüsterte Cäcilie.
Moritz schreckte hoch, fast hätte er aufs Papier gekleckst. »Ich muss arbeiten, Cäcilie. Heute bitte keine Deutschstunde.«
Sie lehnte sich an sein Stehpult. »Es geht nicht um die Deutschstunde, Moritz. Ich muss dir erzählen, was ich am Wochenende herausgefunden habe.«
Nicht schon wieder dieser Elbrandmord, dachte er, ich will nichts mehr davon hören. Er schnupperte, doch es duftete nicht nach Frühlingsblumen. Es roch nach verkohltem Holz, alles roch nach verkohltem Holz, der Geruch des Brandes klebte an ihm, schon den ganzen Tag, wahrscheinlich würde er ihn nie wieder loswerden, sein Leben lang nicht.
Cäcilie schien sein Desinteresse nicht zu spüren. Oder es war ihr gleich. Also stellte Moritz die Feder ins Tintenfass und hörte sich widerwillig an, was die Damen beim Dinner über den Werftbesitzer getratscht hatten.
»Der Elbrand scheint ein ganz Schlimmer gewesen zu sein«, sagte Cäcilie zum Abschluss.
»Vielleicht kann man es ihm nicht übel nehmen, dass er öfter in die Neustadt zu den käuflichen Damen gegangen ist. Wo er doch keine eigene Frau mehr hatte.«
Cäcilie rümpfte pikiert die Nase. »Es gibt genügend Witwen in der Stadt. Eine hätte den Werftbesitzer sicherlich geheiratet.«
Über dieses Problem wollte sich Moritz nicht auch noch Gedanken machen. Er streute Löschsand über den Brief, schüttelte das Blatt und ließ den Sand in die Dose zurückrieseln. Dann berichtete er von dem »Schauermann im Keller« und den schwarzen Männern, den Brand verschwieg er. Als es nichts mehr zu sagen gab, machte er einen Schritt nach vorn und wollte Cäcilie an sich ziehen, doch sie wehrte ab.
»Lass uns erst aufzählen, was wir wissen«, sagte sie schnell.
Moritz fühlte sich abgewiesen.
Sie reckte den Daumen hoch. »Erstens wissen wir, dass der englische Agent verschwunden ist und dass die Polizei nach ihm sucht.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass man wegen eines ollen Krans einen Menschen umbringt.«
»Moritz Forck, du bist ein Trottel! Es geht nicht nur um diesen einen Kran. Mein Vater hat gesagt, dass alle Häfen an der Küste das gleiche Problem haben. Die Schiffe werden immergrößer und können schwerere Lasten tragen, aber es gibt nicht genügend Kräne, die solche Gewichte heben können. Wer als Lieferant von Kränen in Hamburg den Fuß in die Tür bekommt, sagt Papa, hat ein riesiges Tor auf dem gesamten Kontinent aufgestoßen.«
»Vielleicht zählt ein Menschenleben wirklich nichts, wenn es um Geld geht«, sagte Moritz angewidert.
Cäcilie streckte zwei Finger aus. »Roger könnte theoretisch der Täter sein, vieles spricht gegen ihn. Doch anscheinend glaubt selbst die Polizei nicht mehr so richtig, dass er der Mörder ist.«
»Welchen Grund sollte Roger haben, den Werftbesitzer umzubringen?«
Cäcilie streckte drei Finger aus. »Dann sind da noch die drei oder vier schwarzen Männer …«
»… und die Leute im Hafen, die dem Elbrand den Teufel an
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