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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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Takelage. Und dabei haben wir uns die Namen für das stehende und das laufende Gut zugerufen.«
    Die Augenbrauen wanderten wieder seitwärts, der Klabautermann lächelte. »Gut so! Nur so entsteht seemännischer Nachwuchs. Die Stadt hat ohnehin einen großen Matrosenmangel.«
    Eine halbe Stunde später standen sie an Deck der B ÜRGERMEISTER B EHNKE . Ein Jollenführer hatte sie hingerudert, denn der Segler lag an den Pfählen im Strom.
    »Routinearbeit«, hatte Kapitän Westphalen im Ruderboot erklärt. »Ich prüfe jedes Mal vor der Abreise den Proviant, damit keines unserer Schiffe mit schlechten Lebensmitteln unterwegs ist.«
    Moritz hatte genickt.
    »Du führst die Proviantliste«, hatte der Kapitän angeordnet.
    Während Kapitän Westphalen den Bericht des Steuermanns entgegennahm, hörte Moritz plötzlich eine Stimme hinter sich.
    »He, mien Jung, was machst du denn hier?«
    Er schaute sich um. An Deck waren die Schauerleute damit beschäftigt, schwere Kisten über Bord zu hieven. Keiner nahm von ihm Notiz.
    Wieder hörte er die Stimme. »Ich bin in der Luke, du Dösbaddel. Komm runter, wir brauchen einen Tallymann.«
    Moritz beugte sich über das Lukensüll und blickte in den Laderaum hinunter. »Onkel Hermann, du hier? Ich kann nicht, ich muss den Proviant prüfen.«
    »Ach was, Proviant. Wir brauchen einen Tallymann, aber einen guten. In den Kisten ist Zucker. Teure Ware. Da darf man sich nicht verzählen. Und du hast dich nie verzählt.«
    Moritz schüttelte den Kopf und drehte sich weg. Kapitän Westphalen, der das Gespräch mitgehört hatte, bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick.
    Der Steuermann führte Westphalen und Moritz in die Kajüte des Seglers und von dort über eine steile Stiege hinunter in den Proviantraum. Der Kapitän öffnete den Papiersack mit dem Schiffszwieback und nahm eine Probe. Jeweils zwei der grauen Brotscheiben waren zusammengebacken. Er roch an ihnen, trennte sie dann und begutachtete das Innere.
    »Die sind noch in Ordnung«, sagte er. »Keine Maden und keine Käfer drin.«
    Als nächstes kam das Fass mit dem Salzfleisch dran. Der obere Fassreifen wurde gelockert, um den Deckel abheben zu können. Dabei trat etwas Salzlake aus, die einen bestialischen Gestank nach Verwestem verbreitete.
    »Stopp!«, rief der Kapitän. »Lassen Sie den Deckel drauf. Das Fass geht unbesehen an Land.«
    Danach prüfte er die Qualität der Hülsenfrüchte. Die Bohnen sahen eingetrocknet aus, die Erbsen ganz klein und schrumpelig. Die würde ich nicht einmal zum Blasrohrschießen nehmen, dachte Moritz.
    »Die sind in Ordnung«, sagte Kapitän Westphalen. »Wenn sie ein paar Stunden gekocht werden, sehen sie wieder aus wie frisch geerntet. Aber es sind zu wenig.«
    Moritz machte in rasender Eile Notizen. Wie gut, dass Cäcilie mit mir geübt hat, dachte er in einer kurzen Verschnaufpause.
    Dann waren sie wieder im Boot. Kapitän Westphalen prüfte die Liste. »Sehr brauchbar«, sagte er ruhig, »die Liste und auch der Protokollist.«
    Moritz freute sich über das Lob. Bis sie wieder am Steinhöft angekommen waren, ruhte der Blick des Klabautermanns auf dem Kontorlehrling, der sich zunehmend unwohl fühlte unter dessen forschenden Augen.
    Vor dem Kontor wässerte Moritz noch einmal den gebeutelten Baum. Danach reichte ihm der Klabautermann eine Depesche für Caesar Schröder und die abgewetzte Ledertasche.
    »Mein Sohn wäre jetzt im gleichen Alter wie du«, sagte er mit rauer Stimme. Er stellte sich ans Fenster, blickte über den Binnenhafen zur Elbe und schien nicht mehr ansprechbar zu sein.
    Auf dem Rückweg dachte Moritz über das Wort »wäre« nach. Es klang so merkwürdig: nach Vergangenheit, nach Tod. Schon wieder ein totes Kind? Er konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, tot zu sein, nicht einmal, wenn er an Henriette dachte. Man war nicht tot in jungen Jahren. Das Leben begann erst, jeder Tag war neu, es gab noch viel zu entdecken   – da hatte man keine Zeit zum Sterben. Seine Großeltern, die waren tot, aber die waren schon müde und verschrumpelt gewesen, bestimmt fünfzig Jahre alt.

4
    Die Zeit eilte im ständigen Gleichmaß dahin. Nein, nicht im ständigen Gleichmaß, das kam Moritz nur so vor. Jetzt, Ende Februar, waren die Tage und damit auch die Arbeitszeit schon ein gutes Stück länger geworden. Jeden Morgen musste Moritz etwas früher aufstehen, um den Ofen im Kontor anzuheizen. Das war lästig. Doch dafür brauchte er weniger Holz und Kohlen nach oben zu schleppen,

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