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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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vorausgesehen, als er hergekommen war. Oder vielleicht doch. Und da es nicht seine Entscheidung war, sah er keinen Grund, warum er es ablehnen sollte.
    »Zeigen Sie mir den Weg«, sagte er.
    Als sie die Zellen der Untersuchungshäftlinge erreichten, bat Valence Ruggieri, ihn allein zu lassen. Der Wärter öffnete die Tür und schloß sie hinter ihm sofort wieder ab. Tiberius sah wortlos zu. Valence setzte sich ihm gegenüber und suchte nach eine Zigarette.
    »Sie sind nicht gefahren?« fragte Tiberius. »Worauf warten Sie in Rom?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Als ich Sie verließ, wußten Sie es auch schon nicht. Geht es seitdem nicht besser?«
    »Sind wir hier, um über mich zu reden?«
    »Warum nicht? Ich habe nichts zu erzählen. Ich bin da, ich sitze auf meiner Pritsche, ich esse, ich schlafe, ich pinkle, ich wasche mir die Füße, das bringt uns nicht sehr weit. Ihnen dagegen passiert sicher eine ganze Menge auf der Straße.«
    »Es heißt, du leugnest die beiden Morde.«
    »Ja, ich leugne die beiden Morde. Ich weiß, daß das Ruggieri seine Sache nicht erleichtert und die Untersuchung verzögert. Sehen Sie meine Füße an, finden Sie nicht, daßsie schon besser aussehen, daß sie malerisch werden, vor allem die vierten Zehen? Dabei ist es mit den vierten Zehen gewöhnlich ein ziemliches Kreuz, bis sie gelingen.«
    »Warum leugnest du die beiden Morde?«
    »Interessiert es Sie nicht, von meinen Füßen zu reden?«
    »Es interessiert mich weniger.«
    »Sie haben unrecht. Ich leugne die beiden Morde, Monsieur Valence, weil ich sie nicht begangen habe. Stellen Sie sich vor, daß ich an dem Abend des Festes auf der Piazza Farnese, genau in dem Augenblick, in dem ich mich selbstverständlich anschickte, Henri zu liquidieren, der mir nichts getan hatte, plötzlich an etwas anderes dachte – was, das vermag ich Ihnen nicht zu sagen, und bis ich mich wieder gesammelt hatte, war jemand anderes mir zuvorgekommen und hatte seine Rechnung beglichen. Geben Sie zu, daß das blöd ist. Es soll mir eine Lehre dafür sein, daß ich den Kopf immer woanders habe. Aber warten Sie, Sie werden gleich sehen, daß die Erfahrung keinen Vorteil bringt, denn neulich abend mit dem Heiligen-Gewissen-der-Sakrosankten-Archive passiert mir dasselbe. Ich erwarte sie hochkonzentriert, ich habe mein großes Messer zum Aufschlitzen des Heiligen-Gewissens fest in der Hand, da – ein Augenblick der Zerstreutheit, und jemand überholt mich und sticht sie an meiner Stelle ab. Wie wütend ich war, können Sie sich vorstellen. Aber da ich mich nicht mit einer Sache brüsten will, die ich nicht getan habe, bin ich wohl gezwungen, schamvoll zuzugeben, daß ich nicht in der Lage war, Henri und das Heilige-Gewissen umzubringen. Das ist um so blöder, als ich überhaupt keinen Grund hatte, sie umzubringen, und es daher herrliche Morde gewesen wären, gratis, einfach so, um mal zu sehen. Solche Gelegenheiten können nur mir durch die Lappen gehen.«
    »Du hattest überhaupt keinen Grund, sie umzubringen?«
    »Aber nein, verdammt! Ich kann noch so lange suchen, ich finde keinen. Ich hatte Henri den ganzen Tag nicht gesehen, und selbst wenn er nach dem Michelangelo hätte fahnden wollen, was er nicht getan hat, hätte er mich nie verdächtigt. Als wir am Abend des Festes über die Diebstähle sprachen, war er meilenweit von der Vorstellung entfernt, ich hätte sie begangen haben können. Henri hatte noch nie eine gute Intuition. Und was das Heilige-Gewissen angeht, so hat sie nie gegen mich aufbegehrt und mich auch nie verdächtigt, Henri umgebracht zu haben. Übrigens hatten wir vereinbart, daß unser Schwarzhandel aufhören würde, sobald einer von uns genug davon hätte. Vor Henris Ankunft hatten wir beschlossen, uns für eine ganze Weile ruhig zu verhalten, unser Ding vielleicht sogar überhaupt zu beenden, jetzt, wo es Gefahr lief, seinen Reiz zu verlieren. Sehen Sie, die Motivation für das alles müßte man in den verborgenen Schichten meines Gehirns suchen, und ich gestehe Ihnen, Monsieur Valence, daß ich dazu nicht die Courage habe.«
    »Tiberius, ich flehe dich an, erklär mir das ernsthaft.«
    Tiberius hob den Kopf.
    » Sie scheinen mir ernst, Valence. Ernst und sogar ein wenig gequält.«
    »Tiberius, verdammt! Ist dir nicht klar, daß das alles wesentlich ist? Kannst du mir schwören, daß du sie nicht umgebracht hast? Kannst du es mir beweisen?«
    Tiberius erhob sich und lehnte sich an die Zellenwand.
    »Muß ich es Ihnen denn beweisen? Sind

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