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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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schob, war es immer sehr heiß gewesen. War er auch heute noch so fieberhaft tätig? Nicht im geringsten. Er leitete vier Kunsteditionen, ging mit einem Haufen Kohle um, man lief ihm hinterher, um seinen Rat einzuholen, entschuldigte sich, bevor man ihn ansprach, sein Sohn wich ihm aus, und sogar seine Frau Laura zögerte, ihn zu unterbrechen. Dabei war es ihr, als er sie kennenlernte, herzlich egal gewesen, ob sie ihn unterbrach oder nicht. Damals in Rom kam sie abends und wartete auf ihn unter den Fenstern des Palazzo Farnese – in einem großen weißen Hemd ihres Vaters, das sie mit einem Gürtel zusammenschnürte. Er erzählte ihr, was er in den Stunden zuvor aus der Hitze der alten Vaticana zutage gefördert hatte, und Laura, das scharf gezeichnete Profil gesenkt, hörte ihm ernst zu. Dann plötzlich war es ihr herzlich egal, und sie unterbrach ihn.
    Heute nicht mehr. Heute war das achtzehn Jahre her, und sogar Michelangelo machte ihn melancholisch. Henri Valhubert mochte solche Erinnerungen nicht. Warum kam der Kerl und hielt ihm dieses stinkende Papier unter die Nase? Und warum war er selbst noch immer Snob genug, Vergnügen daran zu finden, daß er »die Vaticana« sagte, als spräche er lässig von einer alten Freundin, anstatt respektvoll »die Biblioteca Vaticana«, wie alle anderen auch? Und warum fuhr Laura fast jeden Monat nach Rom? Machten ihre Eltern, die fern der großen Stadt ihr kümmerliches Dasein fristeten, derart viele Reisen erforderlich?
    Er hatte nicht einmal Lust, dem Kerl seine Entdeckung wegzuschnappen, was ihm ein leichtes gewesen wäre. DerKerl konnte seinen Michelangelo-Schenkel gern behalten, es war ihm gleichgültig.
    »Schließlich kann das Blatt auch ganz legal aus irgendeiner kleinen italienischen Sammlung stammen«, sagte er, um das Gespräch wiederaufzunehmen. »Was waren die zwei, die es Ihnen angeboten haben, für Typen?«
    »Sie waren kein bestimmter Typ. Sie sagten, sie hätten die Zeichnung von einem Privatmann in Turin erworben.«
    Valhubert antwortete nicht.
    »Was soll ich also tun?« fragte der Mann.
    »Ich hab’s Ihnen doch gesagt, kaufen Sie das Blatt! Es ist geschenkt. Und seien Sie so nett, schicken Sie mir ein Foto davon – und geben Sie mir Bescheid, wenn weitere auftauchen. Man kann nie wissen.«
    Kaum war er allein, öffnete Henri Valhubert weit das Fenster seines Büros, um die Luft der Rue de Seine zu atmen und den Geruch von altem Papier und Vaticana zu vertreiben. Laura müßte jetzt gerade in Roma Termini ankommen. Und dieser verrückte junge Tiberius würde vermutlich auf sie warten, um ihr das Gepäck zu tragen. Wie immer.

3
    Der Palatino war eingefahren. Nach und nach stiegen die Reisenden aus. Tiberius zeigte Nero von weitem Laura.
    »Tiberius …«, sagte Laura. »Du bist nicht bei der Arbeit? Stehst du schon lange hier?«
    »Ich verdorre hier seit dem Morgengrauen. Du warst gerade über die Grenze und hast noch geschlafen, da war ich schon auf dem Bahnhof. Dort in der Ecke. Wie geht es dir? Hast du schlafen können in deinem Liegewagen? Gib mir deine Tasche.«
    »Ich bin nicht müde«, erklärte Laura.
    »Aber klar. Du weißt genau, daß Reisen müde macht. Übrigens, Laura, hier stelle ich dir unseren Freund Nero vor, die dritte satanische Spitze des teuflischen Dreiecks, das die Stadt Rom mit Feuer und Schwert verwüstet … Lucius Domitius Nero Claudius, sechster Cäsar … Tritt vor, Nero! Bei dem mußt du gut aufpassen, Laura … Er ist komplett und definitiv verrückt. Es ist der kompletteste Verrückte, den Rom seit langer Zeit in seinen Mauern beherbergt hat … Aber Rom weiß es noch nicht. Das ist das Problem.«
    »Sie also sind Nero? Claudius erzählt mir seit Jahren von Ihnen«, bemerkte Laura.
    »Ausgezeichnet«, erwiderte Nero. »Ich bin ein unerschöpfliches Thema.«
    »Und vor allem ein sehr schlechtes Thema«, fügte Tiberius hinzu. »Eruptive und für die Zukunft der Nationen verhängnisvolle Intelligenz. Jetzt gib mir doch die Tasche,Laura! Ich möchte nicht, daß du Taschen trägst. Sie ist schwer, und außerdem sieht es häßlich aus.«
    Nero ging neben ihnen. Tiberius hatte die Frau schlecht beschrieben, mit hochtrabenden Worten, die alles und nichts besagten. Nero warf ihr rasche Blicke von der Seite zu, aus der Distanz, mit einer respektvollen Ehrerbietung, die ziemlich ungewöhnlich bei ihm war. Laura war recht groß und schwankte beim Gehen kaum merklich. Warum hatte Tiberius diese Sache mit dem Profil so ungenau

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