Im Schatten des Palazzo Farnese
erschüttert. Eine ganze Weile betrachtete er seine Füße.
»Ich habe das Bedürfnis, etwas sehr Feierliches zu tun«, murmelte er, »bin mir aber nicht sicher, ob das geschmackvoll ist.«
»Es kostet nichts, es zu versuchen.«
»Als Bettler fing ich an, als Bettler hör ich auf«, sagte er und zog die Schuhe aus. »Barfuß trete ich vor meine höchsten Richter, und Monsignore würde gewiß sagen, das sei sehr biblisch. Es gibt Augenblicke im Leben, Monsieur Valence, wo es unbedingt erforderlich ist, sehr biblisch zu sein. Ich bin sicher, daß Ruggieri diese Art biblischer Vulgarität rasend machen wird.«
»Daran besteht kein Zweifel.«
»Dann wäre das perfekt. Ich gehe barfuß hin. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, bevor ich Sie verlasse: Passen Sie auf Ihre Augen auf. Sie sind herrlich, wenn Sie etwas hineinlegen.«
Valence vermochte nichts mehr zu sagen. Er wandte sich um, blickte Tiberius hinterher und sah, wie er barfuß die Kreuzung überquerte. Kurz bevor er das Polizeigebäude betrat, lächelte er ihm noch einmal zu.
»Richard Valence«, rief er, »moriturus te salutat!« *
Zum dritten Mal in einer Woche – und das war zuviel – hatte Valence das Gefühl, seine Kräfte würden ihn verlassen. Der wachhabende Bulle beobachtete ihn.
»Sie werden doch die Schuhe Ihres Freundes nicht auf dem Bürgersteig stehenlassen, Signore?«
»Doch«, erwiderte er.
Valence ging, seine Glieder schmerzten vor Spannung, und er dachte an die Entschlossenheit des Bischofs am Morgen. Jetzt verstand er. Lorenzo Vitelli hatte sich gegen das Offensichtliche gewehrt, er hatte sich zwischen Tiberius und die Justiz gestellt. Es hatte nichts genutzt. Seit wann wußte der Bischof, daß Tiberius der Dieb war? Spätestens seit dem Morgen, an dem Vitelli zu ihm, Valence, ins Hotel gekommen war und er sich geweigert hatte, ihn zu sehen. Der Bischof hätte ihm beinahe alles anvertraut, hatte sich aber wieder gefangen. Selbst da wäre es unmöglich gewesen, Tiberius zu retten. Er hatte gestohlen und gemordet, und im Gegensatz zu Vitelli glaubte Valence nicht an eine göttliche Justiz, mit der man ohne Vermittler verhandeln konnte. Er hätte Tiberius an Ruggieri ausgeliefert, das hatte der Bischof begriffen. Jetzt wurden die Dinge natürlich klarer. Henri Valhubert kannte Tiberius seit seiner Kindheit. Vielleicht hatte er schon als Junge bei ihm gestohlen, und die Geschichte mit dem Michelangelo hatte ihn darum sofort aufgeschreckt. Sicher war Valhubert in der Absicht nach Rom gekommen, ihn einzuschüchtern, damit er mit diesen Diebereien aufhörte. Wahrscheinlich hatte er das vertraulich regeln und Tiberius dazu bringen wollen, die Manuskripte wieder herauszugeben, um eine Verhaftung zu vermeiden. Statt dessen hat er ihn nur in Panik versetzt; Valhubert hatte sich immer ungeschickt angestellt im Umgang mit Tiberius wie auch mit seinem eigenen Sohn. Mit dem Mord hatte Tiberius zugleich eine ganze Reihe anderer Probleme gelöst. War Henri Valhubert nicht vor allem der Mann von Laura? Reichte das nicht schon, um ihn zu hassen? Das Motiv des Augenblicks, die Angst vor einer Denunzierung, hatte zugleich allen anderen Groll kanalisiert und zum Mord geführt. Am Tag des Prozesses würde man alle diese Leidenschaften in die Waagschale werfen müssen. Tiberius hatte nicht vorausgesehen,daß Valhuberts Tod Laura und Gabriella die Deckung nehmen und auch den Schwarzhandel offenlegen würde. Plötzlich konnte sich sein eigener Fehler gegen Laura wenden. Tief beunruhigt, hatte er sich daher alle Mühe gegeben, Lauras Unschuld zu beweisen, ohne sich dabei selbst zu belasten. Gleichzeitig verfolgte er auf diese Weise Tag für Tag das Fortschreiten der Ermittlungen und konnte sein Verhalten danach ausrichten. Das war ihm hervorragend gelungen, denn niemand hatte ihn verdächtigt, außer Ruggieri, das mußte man zugeben. Und plötzlich hatte Maria Verdi aufgegeben. Der Mord an Henri Valhubert mußte sie umgetrieben haben, und selbst Sankt Peter in der Nacht wollte ihr keinen Trost geben. Sie wurde eine Gefahr, und Tiberius mußte sie aus dem Weg räumen, bevor sie anfinge zu reden. Das war riskant, denn dadurch kam die Ermittlung auf den Michelangelo zurück, aber er hatte keine andere Wahl. Dennoch dürfte er nicht sehr besorgt gewesen sein. Laura wurde nicht mehr verdächtigt, und er selbst riskierte nichts. Es schien nicht sehr wahrscheinlich, daß der Verbrecher unter den Hunderten von Benutzern der Vaticana je aufgespürt würde. Nur,
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