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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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Absicht, den Tempel aufzusuchen. Aber wer glaubte schon einem Sklaven? Baltsar vielleicht, doch wäre er auch entschlossen genug, sich auf das Wort eines Sklaven hin mit dem Tempel anzulegen? Ich bezweifelte das. Er war wie ein Dieb aus seinem eigenen Haus herausgeschlichen, weil er zu feige gewesen war, mir gegenüberzutreten und mich fortzujagen.
    Selbst der hintere Teil meines Gehirns war davon überzeugt, daß ich ganz einfach dumm gewesen war oder zumindest töricht genug, mein Vorhaben nicht umsichtig genug geplant zu haben, so daß ich Tarana nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Ich hätte Baltsar bitten sollen, mich zu begleiten, hätte vielleicht irgend jemand anders überreden sollen, mit mir zu kommen. Unter meinen Gefährten von Akadem hätte ich sicherlich einen Helfer finden können. Aber nein, ich war zu stolz, schämte mich zu sehr wegen meiner Entscheidung. Zweifellos hatte der hintere Teil meines Gehirns gehofft, die Erniedrigung so gering wie möglich zu halten, wenn ich den Bußgang möglichst heimlich und ohne Aufsehen unternahm. Der hintere Teil meines Gehirns nahm die Schuld an meiner Lage auf sich, und ich stöhnte verzweifelt auf. Doch auch dieser Laut verlor sich im Widerhall all jener Seufzer, die ich schon von mir gegeben hatte.
    Tarana muß weiterhin immer wieder zu mir gekommen sein und mir immer dieselben Fragen gestellt haben, aber ich war zu schwach, um zu antworten, und zu müde, um es bewußt wahrzunehmen. Ich wünschte mir nur, ich wäre zu Beginn meines Leidenswegs nicht so kräftig und gesund gewesen; dann hätte ich es nämlich längst überstanden. Ich ergab mich durchaus in mein Schicksal, aufgrund meiner Dummheit sterben zu müssen, dabei hatte ich aber immer noch den Wunsch, mein Sterbebett möge nicht so hart und kalt sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als änderte sich meine Lage, als strebte ich einem Ende, einem Ziel, zu. Gedanken an den Tod wurden verdrängt, als ich zu verstehen versuchte, wohin mich das Puzzle führen würde. Ich dachte, meine Augen wären geschlossen, und ich versuchte sie vor einem stetig heller werdenden Licht zu schließen. Aber das Licht befand sich nicht im Gewölbe; es strahlte vom hinteren Teil meines Gehirns nach vorn und erfüllte mein Bewußtsein mit einem visionären Leuchten. Gedankenfolgen entführten mich in eine Welt mit sanft rollenden Hügeln, die mit kristallinem Schimmer gesprenkelt waren. Buschige Silberwolken formierten sich über dem bergigen Horizont und strahlten wie im Licht von Millionen von Feuer Stäben, die durch den Nebel getragen wurden, und ich hatte das Gefühl, als würde das Glück eines Lebens in den kurzen Augenblick gepreßt, den meine Augen brauchten, um die Pracht in sich aufzunehmen. Schattenmenschen bewegten sich am Rande meines Gesichtskreises, aber ich konnte sie nicht genau erkennen; ich war nicht gewillt, meine Blicke auch nur einen Lidschlag lang von der wundervollen Landschaft loszureißen. Ich schenkte meinen kapuzentragenden Gefährten wenig Beachtung, dann wanderte ich los, untersuchte jeden goldenen Zweig, den ich mit meinen Stiefeln zertrat, wanderte weiter und weiter, bis ich ganz allein war, schattenlos und dennoch einen mächtigen Schatten auf die goldfleckigen Klippen werfend. Ich klammerte mich an die Felsvorsprünge und kletterte, als würden die Götter mich von oben zu sich winken. Ich stieg höher. Ich drang vor in die Silberwolken und trieb atemlos durch Licht und Luft, folgte … nein! Ich folgte nicht … ich jagte die Götter selbst durch das Ätherbrennen des Himmels und hinweg über die Abgründe der Hölle. Mein Herz raste wild, als ich mich bemühte, die Vision zu erkennen und zu begreifen, doch die Perspektive verschob sich, der seidige Dunst in der Ferne verwandelte sich in Berge, die sich wiederum zu Wolken auflösten. Flüsse aus schwarzem Eis erschienen, so nah und dabei so fern, und die Hitze der vulkanischen Essen zauberte schimmernde Luftwellen in mein Gesichtfeld, und immer noch verfolgte ich die Götter.
    Stimmen … schüttelten mich. Würde sie denn niemals damit aufhören, mich mit ihren Fragen zu bedrängen? „Lieber sterbe ich“, versuchte ich zu erwidern. Die Rätsel des Traums zu lösen, war ganz allein meine Sache.
    „Trink! Du närrische Frau, trink! Du bist erlöst!“ Es war tatsächlich Tarana, und sie preßte eine Schale mit einem warmen Gebräu an meine Lippen. „Dein Leben ist gerettet“, sagte sie mit einem Unterton der Bitterkeit.

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