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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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kampierten fliegende Händler auf den Dächern in der Umgebung und im Vorraum des Tempels, wo sie ihre Auslagen mit Fetischen ausgebreitet hatten. Ich betrat den Tempel durch ein nur selten benutztes Portal, das in einen Regenkanal mündete. Dann huschte ich durch aus leichtem Gestein errichteten Gängen und Kammern, die von Akadem so konstruiert waren, daß die Wände während eventueller Erdbeben nicht auf die Betenden stürzten. Als ich in die unteren, von der Öffentlichkeit weniger frequentierten Kammern gelangte, war mir bereits klar, daß ich beobachtet wurde. Ich konnte das Rascheln der Gewänder der Hüterinnen hören, das entstand, wenn sie einen Raum kurz vor meinem Eintreten verließen, und ich spürte ihre Anwesenheit hinter mir, konnte ahnen, wie sie mir folgten, näher kamen, mich geradezu weiterdrängten. Wie erwartet fand ich Tarana im Altarraum Flammenhüters, wo ein ewiges Feuer brannte, das den Altar umzüngelte, ohne ihm etwas anzuhaben. Die Akademer wußten genau, daß man auf eine Gasleitung stoßen würde, wenn man die Steinblöcke beiseite räumte und sich durch das Geröll grub. Doch die alten Baumeister hatten diesen bühnenreifen Trick sehr gut versteckt, und das Rohr war immer noch unentdeckt, und das sogar nach dem Aufbau einiger neuer Altäre, jeder schöner und noch reicher geschmückt als der vorhergehende. Tarana untersagte es, sich tiefer in den Tempelgrund zu graben. Ich glaube, sie wollte weiterhin in dem Glauben leben, daß das Gas den Felsen direkt entströmte.
    Tarana warf eine Prise Kaliumnitrat in die Flammen und erzeugte einen grellen Lichtblitz und eine Wolke schwarzen Qualms. Dann schaute sie mich an. Im Schatten ihrer Kapuze konnte ich nur den sanften Schimmer ihrer Iris erkennen. Schließlich hatten meine Augen sich von dem blendenden Blitz erholt, und ich sah ihr boshaftes Lächeln und das zufriedene Schwingen ihres Schwanzes.
    Ich zog meine Kapuze herunter und reckte meinen Schwanz in einer stolzen Geste über den Kopf. „Ich bin gekommen, um Buße zu tun“, erklärte ich ruhig. Dabei unterdrückte ich den Drang, ihr entgegenzuschleudern, meine Kapitulation sei allein der Tatsache zu verdanken, daß sie und Chel zum Mord als Waffe gegen mich und meine Idee gegriffen hatten. Es gab jedoch gewisse zeremonielle Formen und Gesten, und Tarana tolerierte niemals ein Verhalten, das diesen Vorschriften nicht entsprach. Sie war darin noch strenger als Chels Vater.
    Die Hüterin schaute an mir vorbei, und ich hörte hinter mir ein leises Kleiderrascheln und das Schmatzen nackter Füße einer Akoluthin. Taranas Lippen schoben sich zurück und entblößten spitze weiße Zähne, die mich offen verhöhnten. Dann nahm ihr Gesicht wieder den gewohnt gleichgültigen Ausdruck an, und sie forderte mich auf: „Folge.“
    Die Gewölbe unter dem Tempel waren langgestreckt und strahlten in alle Richtungen auseinander, verliefen unter der Stadt und öffneten sich stellenweise zu geräumigen Kammern voller Stalaktiten und Stalagmiten. Trotz labyrinthischer Verschlungenheit waren sie schon seit Jahrhunderten in Gebrauch. Da gab es Kammern, in denen es keine natürliche Ventilation gab, die die stillstehende, unatembare Luft bewegte, und es gab Einschnitte und tiefe Spalten, die die Gänge stellenweise unterteilten und versperrten. Ich hatte schon gehört, daß Erdbeben in jüngster Zeit neue Spalten und Risse geöffnet oder alte erweitert hatten, doch eine genauere Besichtigung dieser Erscheinungen war von Tarana bisher stets untersagt worden. Nur die Kinder schienen enttäuscht zu sein, daß ihnen der Zugang zu den einst öffentlichen Gewölben verwehrt wurde. Der Rest unserer Gemeinschaft hatte es längst aufgegeben, in den Höhlen zu hausen, weil es sich an der Oberfläche viel angenehmer leben ließ. Als ich Tarana folgte, erhielt ich den Beweis, daß das Gerücht von dem neuen Schacht den Tatsachen entsprach. Wir kletterten an einer Strickleiter nach unten, passierten einen unüberwindlichen Überhang und gelangten in eine Kammer, deren Boden uneben und mit Geröll bedeckt war.
    „Wo sind wir hier?“ fragte ich und hob meine Fackel, um zu sehen, ob das Geröll vielleicht einen Seitengang verschüttet hatte. Dies war jedoch nicht der Fall.
    „Hast du vielleicht erwartet, daß du zur Buße in einen geheizten Altarraum geführt wirst?“
    Das machte mir neue Hoffnung. Viel eher hätte ich damit gerechnet, daß das Ritual in einem der öffentlichen Säle stattfinden würde, wo die

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