Im Schatten des Ringes
oder handelt es sich eher um ein genaues Bild von der Zukunft?“
„Wahrscheinlich beides“, gab ich zu. „Tatsächlich habe ich gewisse Hemmungen, den Traum in allen Einzelheiten zu schildern und zu diskutieren, weil das, was ich gesehen habe, zu phantastisch ist, als daß es irgendwann einmal Wirklichkeit werden könnte. Die Wahrheit wurde wahrscheinlich durch Einflüsse meiner Persönlichkeit verstärkt oder verzerrt, vielleicht waren aber auch bestimmte kulturelle Elemente wirksam. Dennoch ist der Drang, den Gehalt der Symbole zu ergründen, geradezu überwältigend, und überdies ist er auch Teil meiner Persönlichkeit – zumindest hatte ich das bisher immer angenommen. Nun jedoch frage ich mich …“
„Du überlegst, ob deine Bestimmung trotz allem schon festgelegt ist? Fragst du dich außerdem, ob meine Intervention zwischen dir und dem Tod nur einem willkürlichen Zufall zu verdanken war?“
Ich nickte widerstrebend.
„Ich habe mich, seit ich zum erstenmal träumte, mein ganzes bisheriges Leben lang mit der Frage herumgeschlagen, ob wir im Grund nicht nur Puppen sind, falls unsere Leben tatsächlich so sinnlos sind. Nach all diesen Jahren hast du zum erstenmal einen flüchtigen Blick auf meine Ängste tun können. Wäre es nicht eine schreckliche Ironie, wenn man feststellen müßte, daß am Ende all unsere Kämpfe und all unsere Leiden völlig umsonst waren?“
Der König seufzte, und seine Finger massierten das Fleisch unter meinem Nackenpelz, womit er sowohl mir als auch sich selbst ein angenehmes Gefühl verschaffte. Ich richtete mich auf, um die Starre abzuschütteln, die meine Wirbelsäule verkrampfte.
„Ich glaube nicht, daß wir das jemals erfahren werden, Heao“, sagte der König traurig. „Ich habe dir ja schon einmal gesagt, daß ich diesen inneren Konflikt, die Angespanntheit dadurch lösen könnte, indem ich mich ertränkte. Ich habe es mir tatsächlich ernsthaft durch den Kopf gehen lassen. Ich habe keine Angst zu sterben; und damit würde ein für allemal die Frage endgültig beantwortet. Ich habe es nicht getan, weil ich an mich selbst glaube, an meine Fähigkeiten zu regieren, und weil ich noch nicht alle Möglichkeiten wahrgenommen habe, meinem Schicksal eine Wende zu geben, falls das überhaupt möglich sein sollte.“
War das vielleicht eine bequeme Entschuldigung dafür, daß er seinen Weg unbeirrt weiter verfolgte? Ich blickte in seine hellen Augen und erkannte darin einen Schimmer des Mutes, der Entschlossenheit und tiefer Ernsthaftigkeit. Dennoch … „Ich muß es wissen“, flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Einige Dinge muß man einfach glauben, muß ihnen vertrauen … außer man entschließt sich, seinen eigenen Traum völlig beiseite zu schieben und zu ignorieren.“
„Ich kann das nicht.“
„Dann mußt du auch die Folgen tragen und akzeptieren – zum Beispiel, nicht zu wissen, ob du Herrin deines eigenen Willens bist. Fängst du nun endlich an zu begreifen, warum Taranas Teilnahme an der Expedition so wichtig ist?“
Ich nickte. „Es ist das vielversprechendste Ereignis seit Jahren. Vielleicht ändert sich dadurch nichts, vielleicht werden dadurch die Träume aber auch in einen ganz anderen Blickwinkel gerückt.“
„Ja, aber du weißt auch, daß Tarana grundsätzlich jegliche Veränderung ablehnt. Ich verlasse mich darauf, daß du so sicher und bestimmt auftrittst wie eh und je und dich nicht beeinflussen läßt.“
Ich lächelte schwach. „Soeben noch habt Ihr über die akademische Wandlungsfähigkeit geklagt und sie als unsicher und als Ausdruck von Wankelmütigkeit bezeichnet. Plötzlich soll darin die Stärke der Akademer hegen?“
„Das ist das Vorrecht des Herrschenden“, rechtfertigte er sich und grinste entwaffnend. „Im Augenblick überlege ich nur, wie ich deinen Kampfgeist wieder soweit herstellen kann, daß du fit genug bist, an der Expedition teilzunehmen.“
„Macht Euch keine unnützen Sorgen“, beruhigte ich ihn. „Im Augenblick bin ich etwas deprimiert, nur scheint niemand zu begreifen, daß ich nichts anderes brauche als ein bißchen Zeit für mich selbst und in Frieden gelassen zu werden.“
„Hmm. Ich nehme an, dann hat es überhaupt keinen Sinn, wenn ich dir vorschlüge, das Beilager mit mir zu teilen.“
„Stimmt genau“, bestätigte ich.
„Wie du es geschafft hast, mir all die Jahre hindurch auszuweichen, ist mir schleierhaft“, sagte er und kniff mir zärtlich ins Ohr. „Eigentlich sollte ich
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