Im Schatten des Ringes
wäre fast gestorben!“ stieß ich in einem plötzlichen Anfall ohnmächtiger Wut hervor. „Chel und Baltsar tun so, als sei meine öffentliche Kasteiung ein ganz normaler Vorgang, mit dem ich hätte rechnen müssen und den ich hätte über mich ergehen lassen müssen, ohne ihnen in irgendeiner Weise böse zu sein. Dabei hätten sie der ganzen Sache eine völlig entgegengesetzte Wendung geben können, wenn sie sich bei ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit für mich eingesetzt hätten! Und nun geht Ihr hin und laßt alles außer meinem wertvollen Traum völlig außer acht. Gibt es denn niemanden, der auch einmal an mich denkt?“
Der König lächelte. „Prinz Chels öffentliche Anklage, Tarana sei eine Lügnerin, als sie leugnete, daß du dich im Tempel aufhieltest und Baltsars Erscheinen in meinem Beilager während des ersten Schlafs, den ich mir nach meiner Rückkehr ins Tafelland gönnte, um mir die ganze Situation zu erklären, und meine Einmischungen in die Angelegenheiten des Tempels sind Vorgänge, die nicht gerade darauf schließen lassen, daß niemand sich um dein Schicksal gekümmert hat.“
„Jeder von euch war besorgt über seine ureigensten, selbstsüchtigen Interessen. Chel braucht mich für seine Expedition, Baltsar hoffte, ich würde wieder nach Hause kommen, und Ihr mußtet meinen Traum beschützen. Und dann erwartet Ihr meine Dankbarkeit? „ Ich schüttelte den Kopf. „Keiner von euch interessiert sich dafür, was ich empfinde.“
Der König ließ mich endlich los, sprang dann nach unten und wanderte im Raum auf und ab, wobei die buschige Spitze seines Schwanzes über polierte Fliesen strich. „Egal, aus welchen Motiven wir handelten, wenigstens solltest du uns dankbar sein.“
„Warum sollte ich mich bedanken, wenn ich vor einem unrechtmäßigen Tod bewahrt wurde?“
„Tarana hatte immerhin das Recht, über dich den Tod als höchste Strafe zu verhängen.“
„Aber nicht, mich in eine Höhle einzusperren und mich auszuhungern, um mich zur Herausgabe meines Traums zu bewegen – das hatte mit der Sünde, die man mir vorwarf, nicht das geringste zu tun. Wißt Ihr eigentlich, daß sie mich nicht ein einziges Mal fragte, ob ich bereue, jemals an menschliche Qualitäten bei Sklaven gedacht zu haben? Sie hat das Ritual völlig umgeworfen. Ich hatte keine Ahnung, daß ein Exorzismus vorgenommen werden sollte, bis ich den öffentlichen Saal betrat und sah, daß alle Vorbereitungen zu einem solchen Verfahren getroffen worden waren. Und ich wurde durch dieses Ritual auch nicht von meiner Sünde oder Schuld befreit. Ich wurde dafür bestraft, eine Träumende zu sein. Es war ein Betrug, eine Farce! Und Ihr habt es zugelassen!“
„Ich habe es zugelassen, daß sie ihr Gesicht bewahrt, was dich kaum etwas gekostet haben dürfte, da du ja so verdammt viel Stolz hast!“ rief er. „Ich brauche sie … das gesamte Königreich braucht sie – und du weißt schon seit langem, warum. Also hör bitte auf, dich über Entscheidungen zu beklagen, die ich auch nicht widerrufen würde, wenn ich es könnte. Ärgerst du dich, daß dich beinahe der Tod geholt hätte? Oder liegt der wahre Grund deiner Wut in der Erkenntnis, daß du wie ein Dummkopf in den Tempel gegangen bist und dich in Gefahr gebracht hast, ähnlich wie ein junges Tier, das freiwillig ins Schlachtermesser rennt?“ Er stand nun im Schatten, und alles, was ich von ihm erkennen konnte, war das Funkeln seiner Augen. „Wie konntest du nur so dumm sein?“ fragte er.
Ich wand mich wie in Schmerzen und hätte mich am liebsten unsichtbar gemacht, doch selbst die Tiefe des Polsters konnte mich nicht vor seinen fürchterlichen Beschuldigungen schützen.
„Vielleicht hast du schon Würmer im Gehirn“, schlug er weiter auf mich ein. „Hast du dich deshalb so närrisch verhalten? Ja?“
„Nein“, flüsterte ich.
„Was sagtest du? Ich habe dich nicht verstanden.“
„Ich habe keine Entschuldigung“, sagte ich nun etwas lauter.
„Keine? Wirklich? Hast du dich verrechnet? Heao, die brilliante Akademerin, sollte die Dinge nicht richtig durchdacht haben? Willst du etwa zugeben, daß du einen einfachen Fehler gemacht hast?“ Langsam stieg er über die Polsterterrasse zu mir herauf, bis ich seinen Atem in meinem Ohr spüren konnte. „Ist es wirklich so?“ fragte er nun leise. „Hat dieser eine Fehler dir deine ganze Kraft, all deine Fähigkeiten geraubt?“
„Das nicht“, widersprach ich verzweifelt. „Mein Herz ist so schwer, weil ich
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