Im Schatten des Vogels
Anna und kommt hinter mir her. Ich beeile mich, doch sie ist schneller und greift nach dem Eiereimer.
«Wieso hast du so viele Eier? Hast du auch die Eier der Hennen von den anderen Höfen gesammelt?»
«Gehören nicht sowie all diese Hennen uns?», frage ich nur. Wir zerren beide am Eimer.
«Und wo willst du jetzt hin?»
«Ich wollte mit dem Ei bei Mutter vorbeischauen.»
«Nein, wir gehen jetzt nach Hause. Ich gieße Kaffee auf.»
«Dann meckert dein Vater wieder wegen der Bohnen!»
«Er ist nicht zu Hause. Komm jetzt!», sagt sie und nimmt mich an die Hand. An der Tür stoßen wir auf die Frau vom unteren Hof: «Danke, dass du meine Wäsche abgehängt und gefaltet hast», sagt sie ironisch. Jetzt sehe ich, dass sie den Arm voller Wäsche hat.
«Ja, ich hatte den Eindruck, dass es regnen könnte», antworte ich bloß und gucke in die Luft. «Du hättest sie selbst schon längst hereinholen sollen, du Ziege!» Lasse nicht zu, dass sie mich aus der Fassung bringt, diese verfluchte Mähre. Ständig bestiehlt sie einen. Ihre Wäsche – ich muss schon bitten!
«Þorgerður, solltest du nicht auf Mutter aufpassen?», fragt Anna kurz angebunden. Sie gießt Kaffee auf und behält mich bei sich in der Küche.
«Doch, ich musste nur mal kurz raus in den Stall», stammelt Þorgerður und hält sich den Bauch. «Ich habe immer solche Bauchschmerzen.»
Auf Mutter aufpassen! Ich muss schon bitten. Ich bin kein Kleinkind. Springe vom Stuhl, doch Anna drückt mich energisch wieder runter. Schiebt mir die Kaffeetasse zu: «Der ist heiß, verbrenn dich nicht!»
«Dafür habe ich keine Zeit», antworte ich und stehe mit so viel Schwung auf, dass die Tasse umkippt und der Kaffee über den Tisch schwappt. Anna springt herbei und schubst mich zurück auf den Stuhl, während sie schreit: «Sicher hast du dafür Zeit, und jetzt sitz still, oder du wirst was erleben!»
Ich sehe sie verwirrt an. Warum ist sie so wütend? Gucke auf den Kaffeefleck, der sich auf der Tischdecke ausbreitet, die ich einst genäht habe.
«Ich wollte das nicht verschütten», stammle ich und fummle an der Spitze der Decke herum.
Da ist es, als würde sie sich besinnen, sie sinkt auf den Stuhl neben mir und sagt mit erschöpfter Stimme: «Entschuldige, Mütterchen. Entschuldige. Ich bin einfach so müde!»
Þorgerður sieht mich betrübt an und flüstert: «Und dabei wollten wir doch an Pfingsten in die Kirche gehen. Alle zusammen. Wie eine normale Familie.»
Dann lässt sie sich auf den Tisch fallen und beginnt zu weinen.
Wie ein Tier im Käfig, ist dein erster Gedanke, als du dich vor den Verschlag setzt. Du kannst kaum atmen, machst das Fenster auf und lässt frische Luft ins Zimmer.
Siehst sie schlafen, ihr zerzauster Kopf guckt gerade so unter der Decke hervor, und eine Hand. Die schöne Mutter, die immergekämmt und herausgeputzt war. Du streckst deinen Arm durch die Bretter und nimmst ihre Hand. Ganz sachte.
«Mutter, liebste Mutter», flüsterst du leise genug, um sie nicht zu wecken. Sie atmet ruhig. Rührt sich nicht.
Auf diesen Moment hast du gewartet und gleichzeitig Angst davor gehabt. Hast nicht verstanden, was Vater dir in den Briefen geschrieben hat, hast versucht, es dir vorzustellen, und hast in Reykjavík mit Gunnhildur darüber gesprochen. Trotzdem hast du nicht geahnt, dass es so schlimm sein würde.
Was hat dieses Ungetüm hier oben zu suchen? Was für ein Pferch ist da gebaut worden, um Mutter hineinzustecken? Du weinst und siehst ihr beim Schlafen zu. Was sollst du jetzt Pétur Jakob schreiben?
Vater will, dass du nach unten kommst, will, dass du mit den anderen isst, doch du möchtest warten, bis Mutter aufwacht.
«Da kannst du lange warten», antwortet er. «Ich hatte ihr gerade die Medikamente gegeben, als du kamst. Sie schläft die nächsten Stunden.»
Rasender Zorn schnürt dir die Luft ab, und du stürzt hinter ihm die Treppe hinunter.
«Warum ist Mutter in diesem Verschlag?», schreist du und stampfst mit den Füßen auf. Vater ist schwerfällig geworden. Er sieht dich lange an, bevor er antwortet:
«Du solltest nicht nach Hause kommen und uns zurechtweisen, Katrín, Kleines. Du weißt nicht, was wir mit deiner Mutter durchmachen mussten.»
«Ja, aber man darf sie nicht wie ein Tier einsperren», schreist du und weinst schon wieder.
«Sie ist für sich selbst und für andere eine Gefahr!»
«Wie konnte es dir einfallen, einen Käfig um sie herum zu bauen? Vielleicht weil du Tischler bist?»
Du weißt,
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