Im Schatten des Vogels
sonst. Ich mache mit dem Hemd weiter und denke auch schon über Stoff für die Jacke nach.
Doch die Schlaflosigkeit nimmt zu, und die Träume werden immer verrückter. Dann ist er wieder da – der Vogel! Und diesmal ist er voller Unruhe.
Ich habe die Wohnstubengardinen abgehängt. Sie waren völlig verdreckt. Höchste Zeit, sie zu waschen und zu bügeln. Ich müsste neue nähen, brauche dafür aber schönen Stoff. Wollte schon lange zum Handelsplatz. Jetzt ist die Zeit gekommen, es in die Tat umzusetzen. Morgens schrecke ich in aller Herrgottsfrühe auf und kann nicht wieder einschlafen. Da kann ich genauso gut rasch aufstehen und etwas Gescheites tun.
Vigfús steht in der Küchentür und bittet mich, wieder ins Bett zu kommen. So früh am Morgen keinen Krach zu machen. Diesmal gehorche ich, ihm zuliebe. Es fällt mir wahnsinnig schwer, den Tag zu verschlafen. Bin morgens voller Tatendrang.Liege neben Vigfús und plane die Schule. Gehe nicht mehr nach Reykjavík zum Unterrichten, möchte hier in der Gegend eine Mädchenschule gründen. Zuerst nur mit wenigen Mädchen, aber wenn es gut läuft, soll die Schule größer werden. Ich selbst traue mir zu, alle Handarbeitsfächer zu unterrichten, doch ich will versuchen, Pfarrer Jóhann dazu zu bringen, die theoretischen zu übernehmen. Der Platz wird das größte Problem sein. Hier zu Hause kann die Schule nicht sein, und ich werde Vigfús wohl kaum dazu bewegen können, ein Schulgebäude zu bauen. Ich könnte versuchen, mit Papa zu sprechen. Dort ist Platz für Wohnheim und Unterrichtsraum, aber ich weiß nicht, ob ich all die jungen Mädels bei ihm zu Hause haben will. Das würde schwierig für Mutter werden.
Krieche aus dem Bett, möchte schnell bei Papa vorbeischauen und die Sache mit ihm besprechen, doch Vigfús zieht mich zurück.
Ich Tollpatsch habe das Wasser umgestoßen. War nicht vorsichtig genug, und da floss es über den Küchenboden. Ingi hatte es gerade hereingebracht. Anna wollte nicht, dass ich beim Aufwischen half, sagte, dass sie das allein schaffe, und Þorgerður und ich setzten uns in die Wohnstube.
Sie reichte mir Jóns Hemd und wollte, dass ich es fertig nähte, doch ich hatte nicht die Ruhe, um den Faden einzufädeln. Da fädelte sie für mich ein, bat mich, ruhig zu werden, und setzte sich dann mit ihrem Strickzeug zu mir. Plötzlich stand ich draußen an der Tür und warf einen prüfenden Blick aufs Wetter, doch Þorgerður holte mich zurück.
«Nun sitz still, Mutter!», sagte sie bestimmt.
«Das ist leichter gesagt als getan», antwortete ich. «Siehst du nicht, wie sich die Arbeit überall um uns herum anhäuft?»
«Wir kümmern uns schon darum!»
«Aber es macht mir Freude, euch zur Hand zu gehen. Warum darf ich das nicht?»
«Dann solltest du dieses Hemd zu Ende nähen», antwortete sie genauso bestimmt.
Ich beuge mich über das Hemd und merke, wie meine Hände zittern. Verstehe nicht, warum auch Þorgerður mitmacht und versucht, mich klein zu halten. Gerade jetzt, da ich voller Energie bin und so viel schaffen will, stellen mir alle ein Bein in den Weg. Bestimmen über mich und verbieten mir alles. Sind mir im Weg. Verlangen, dass ich mich ausruhe. Ich bin kein bisschen müde!
Am schlimmsten ist, herausgefunden zu haben, dass mich jemand bestiehlt. In meiner Kommode müssten noch viel mehr Stoffbahnen sein. Da hat jemand etwas mitgehen lassen. Natürlich eine der Mägde. Diebespack!
Es wird schwierig, die Schule in Gang zu bringen. Die Leute legen mir immer Steine in den Weg, und sie sind vollkommen verständnislos. Ich hätte längst dorthin gehen sollen, wo meine Arbeit geschätzt wird. Sagte die Schulleiterin nicht, dass ich Lehrerin werden sollte? Als Þorgerður wegsieht, nutze ich die Gelegenheit und stehle mich hinaus.
Vermutlich sind die Pferde draußen auf der Weide. In letzter Zeit sind sie nie am Hof. Dann gehe ich einfach zu Fuß. Aber die Wäsche ist trocken, und man sollte sie nicht nass regnen lassen. Ich zupfe sie von der Leine, falte sie hastig und werfe sie durch die Tür. Dann gehe ich zum Hühnerhaus und hole die Eier. Gehe zu allen Häusern und sammle die Eier rasch zusammen. Zerbreche in der Eile ein paar.
Mache mich dann auf den Weg über die Wiese. Möchte Mutter ein Ei bringen und einen Schluck Kaffee trinken. Und mit Papa die Sache mit der Schule besprechen. Danach nähe ich das Hemd weiter. Muss hier zu Hause noch einiges schaffen. Darf keine Zeit verlieren.
«Mutter, was machst du da!», ruft
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