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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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murmelte er in Marthas Richtung, als sie ihr Gepäck im verbeulten Kofferraum verstauten.

    Samuel kletterte auf den Rücksitz und war überrascht, als er Martha auf dem Beifahrersitz sah.
    »Das Auto ist zwar alt«, sagte Tante Eda, als hätte sie Samuels Worte verstanden, »aber zuverlässig. Wenn man ihnen die Treue hält, dann lassen sie einen nicht im Stich, denke ich.«
    Das Auto stimmte offenbar nicht zu und hustete bloß, als sie den Zündschlüssel drehte.
    »Na komm, mein Alter«, sagte Tante Eda. »Na, bitte, schon schnurrt er wie ein Skogkatt .«
    Als der Wagen Fahrt aufnahm, verspürte Samuel ein unangenehmes Ziehen in der Magengrube, als rechnete er damit, dass jeden Moment ein weiterer Baumstamm vom Himmel fiele.
    »Was für ein schrecklicher Unfall«, sagte Tante Eda. »Ich konnte es zuerst nicht glauben. Eure Mutter war eine großartige Persönlichkeit … auch euer Vater.«
    Ihre warmherzigen Worte klangen in Samuels Ohren, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Schultafel kratzen.
    »Du kanntest meinen Vater doch gar nicht«, sagte Samuel. »Und meine Mutter fast ebenso wenig. Du bist ihr nie begegnet. Warum willst du, dass wir bei dir leben, wenn du uns früher nie sehen wolltest?«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Tante Eda ruhig.
    »Warum hast du Mum nie gesehen, wenn du sie so gernhattest?«, fragte Samuel, erstaunt darüber, wie zornig seine Stimme klang. »Mum sagte, dass du Angst vor dem Fliegen hast und auch nicht gern mit dem Schiff fährst.«
    »Hat sie das?« Tante Eda schien für einen Moment verwirrt, als hätte sie gerade etwas Neues über sich selbst erfahren. »Ja, ja … richtig.«
    Ihre Worte verhallten.

    Samuel warf seiner Schwester einen verstohlenen Blick zu. Sie ließ ihre Fingerspitzen auf der Handfläche kreisen. Vor einer Woche hatte er inständig gehofft, sie möge mit dem Singen aufhören, und jetzt fragte er sich, ob er sie jemals wieder singen hören würde. Gab es überhaupt ein Lied, das traurig genug für sie war?
    Vermutlich nicht , dachte er.
    Vermutlich nicht.

    Samuel war erst seit 36 Minuten in Norwegen, doch er wusste bereits, dass es das furchtbarste Land war, das er je besucht hatte. Was sollten all die Berge und Bäume und Seen? Warum sollten sie in einem Land leben, dessen Kälte das Tragen schwachsinniger Mäntel und wollener Hüte erforderte? Und was hatten die Wörter auf den Straßenschildern zu bedeuten?
    Enveiskjøring
    Rekkverk Mangler
    All Stans Forbudt
    Auch die Namen der Orte, durch die sie fuhren, kamen ihm höchst seltsam vor:
    Løkken Verk
    Skogn
    Kyrksæterøra
    Im Moment befanden sie sich in einem Dorf namens Hell. Es gab sogar ein englischsprachiges Straßenschild, auf dem stand: »Welcome to Hell« - Willkommen in der Hölle.
    Und wie sah die Hölle aus? Genauso wie alle anderen Ortschaften, die sie durchquert hatten.
    Dreistöckige Häuser in freundlichen Farben und eine gedrungene graue Kirche, die unmittelbar vor einem sanft geschwungenen
Abhang stand. Ihr Turm war so kurz, als habe er Angst, zu weit in den Himmel zu ragen.
    »Auf Norwegisch ist Hell das Wort für Glück, Wohlergehen oder Wohlstand«, erklärte Tante Eda. »Wisst ihr, was Wohlstand bedeutet?«
    Sie schaute erst Martha und dann im Rückspiegel Samuel an, doch niemand wollte ihr sagen, was »Wohlstand« bedeutete.
    »Wenn man viel Geld verdient, sagen die Leute, man sei wohlhabend oder lebe im Wohlstand«, erklärte sie. »Norwegen wird gemeinhin als wohlhabendes Land bezeichnet. Fast jeder hat hier ein ordentliches Gehalt und der Briefträger verdient nur unwesentlich weniger als ein Arzt oder Richter. Es ist eine sehr gerechte Gesellschaft. Deshalb sind die meisten Norweger auch nicht neidisch aufeinander. Wir sind friedliche Leute. In unserem Land ist genug Geld und genug Platz für alle da. Die Norweger sind ein glückliches Volk.«
    Samuel sah das Gesicht seiner Tante im Spiegel und bemerkte, dass es nicht das Glück ausstrahlte, das sie beschrieb. Sie will uns hier nicht haben , dachte er. Darum hat sie so traurige Augen. Wahrscheinlich hat sie Mum gehasst. Und wahrscheinlich hasst sie auch uns .
    Er interessierte sich nicht für den Frieden oder wohlhabende Briefträger. Sein einziger Wunsch bestand darin, sich wieder in der vorigen Woche zu befinden, in der alles noch normal gewesen war.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte Samuel seine Tante.
    Sie hatten Hell hinter sich gelassen und befanden sich irgendwo anders, in einer Gegend ohne Häuser und ohne

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