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Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Im Schlauchboot durch die Unterwelt

Titel: Im Schlauchboot durch die Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Treten Sie
ein.«
    »Stimmt das auch mit der
Leiche?«, fragte die Frau. Sie war noch dicker und hatte daheim den Spitznamen
»Torten-Emma«. »Ich meine die balsamierte Leiche von diesem Hottentotten. Das
hat man uns im Hotel gesagt.«
    »Es handelt sich um einen
Aborigine«, erklärte Matilde geduldig, während sie dem Dicken zwei
Eintrittskarten zu je fünf Euro verkaufte. »Einen Ureinwohner Australiens.«
    »Kein Wachs? Richtig echt?«,
wollte Torten-Emma wissen.
    Matilde bestätigte das.
    »Den wollen wir zuerst sehen!«,
entschied der Dicke und seine Emma fröstelte wohlig.
    Matilde hatte die gedämpfte
Beleuchtung eingeschaltet. Jedes Exponat erhielt ein anderes Licht.
    Die Riesenschlange, die ein
Krokodil erdrosselte, war in das Grün des Dschungels getaucht. Den Massenmörder
mit dem Beil umfing bräunlich die Dämmerung. Der kugelförmige Mann, der ohne
Arme und Beine geboren worden war und trotzdem sein Leben gemeistert hatte,
präsentierte sich im grellen Neonlicht. Die Giftmörderin, die fast ein ganzes
Dorf in Ungarn ausgelöscht hatte, wurde mit kaltem Blau angestrahlt.
    Allen Szenen, allen Figuren lag
eine wahre Begebenheit zu Grunde. Namen, Daten und das Geschehen waren auf
Tafeln vermerkt. Die Besucher konnten den Text lesen — falls sie es konnten,
denn das gefärbte Licht war ein Hindernis und hatte schon häufig zu Beschwerden
geführt.
    Aber Erwin Kräsch änderte
nichts. Wer Fragen hatte, sollte sich gefälligst an Matilde wenden.
    Der Aborigine stand im zweiten
Raum. Der Speer, auf den er sich stützte, war zugleich die Stütze der Figur.
Ein älterer Mann mit grauem Haar und grauem Bart. Die Figur war ausgemergelt,
die Haut dunkel. Er trug Lendenschurz. Unter den buschigen Brauen glommen
gläserne Augen. Die schimmerten tatsächlich, reflektierten das helle
sonnenartige Licht.
    Und diese Augen starrten
Matilde Nacht für Nacht an — im Traum. Und er redete mit ihr — in einer
gutturalen (kehligen) Sprache, die sie nicht verstand. Dennoch wusste
sie, dass er ihr drohte. Und ihr befahl, ihm die Freiheit wiederzugeben.
    Auch jetzt starrte er Matilde
an.
    Rasch wandte sie sich ab.
    »Na, alter Freund!«, feixte der
Dicke. »Siehst nicht sehr gesund aus.«

    »Alfred!«, tadelte seine Frau.
»Das ist... war ein Mensch!«
    »Soll ich ihm vielleicht die
Hand schütteln? Also, wenn der hier ne Schau abzieht, kann ich ihn auch
anreden. Oder?«
    Beifall heischend sah er
Matilde an, die aber nicht reagierte.
    »Wie hieß er?«, fragte Alfred.
    »Das wissen wir nicht.«
    »Ist er ausgestopft?«, wollte
Emma wissen.
    »Ja. Er ist ausgestopft. Wie
ein präpariertes Tier. Sein Skelett ist noch vorhanden und mit Drähten
verstärkt. Haut und Haare sind echt. Alles andere ist ausgestopft,
beziehungsweise so präpariert, dass es nicht verwesen kann. Das muss alles
schon in Australien geschehen sein — etwa um 1820 oder etwas früher. Man nimmt
an, der Mann sei eines natürlichen Todes gestorben. Jedenfalls wurde der
präparierte Leichnam von einem deutschen Seemann im Jahre 1820 mitgebracht. Er
hat den Aborigine regelrecht eingeschmuggelt. Und dann an einen Schausteller
verkauft, der mit einem Kuriositätenkabinett auf Jahrmärkten und Volksfesten
unterwegs war. Dieser Mann war mein Ururgroßvater. Alle meine Vorfahren sind
Schausteller gewesen. Erst als sich das nicht mehr lohnte, ist mein Vater hier
sesshaft geworden.«
    »Dann ist der Abonnement...
äh... Abo... der Buschmann also seit damals bei Ihnen im Familienbesitz«, sagte
Emma.
    »Ja. Seit mehr als 180 Jahren.«
    »Ehemals lebendes, jetzt totes
Inventar (Einrichtungsgegenstände) — wie man so sagt, hähäh«, feixte
Alfred.
    Seine Frau neigte horchend den
Kopf. »Da weint ja ein Baby.«
    Matilde zuckte zusammen.
»Das... das ist meine Katze.«
    »Wir haben auch einen
Stubentiger. Aber unsere Mieze maunzt anders. Sie... Da, jetzt wieder. Also
wirklich! Wie ein Baby, das Hunger hat. Sie, das ist doch ein Baby!«
    Matilde spürte Schweiß auf der
Oberlippe. Das Weinen war jetzt deutlich zu hören — trotz zweier geschlossener
Türen. Zweifellos ein Baby. Es wäre hirnrissig gewesen, auf eine Katze zu
beharren.
    »Sie haben Recht. Das ist jetzt
nicht die Katze. Das ist mein Baby. Wenn sich die beiden melden, sind sie
manchmal zum Verwechseln ähnlich.« Matilde lachte. »Ich glaube, die Katze
imitiert den kleinen Hugo.«
    »Hugo heißt er?« Die Frau
lächelte.
    »Ja. Hugo hieß auch mein
Ururgroßvater.«
    »Der den Buschmann gekauft
hat«,

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