Zuschauer - exzessive Freunde (German Edition)
„Nicht alle hübschen Kerle sind schwul, Ian!“, sagte Kathy. Sie und ihr bester Freund saßen gerade in dessen Wohnzimmer und sahen sich eine DVD an, als er wieder einmal zu wissen glaubte, dass der gut aussehende Schauspieler des Krimis in Wahrheit nichts für Frauen übrig hatte.
„Sieh ihn dir doch an!“, beharrte er grinsend. „Stockschwul!“
Dies war keineswegs verächtlich gemeint; Ian selbst war schwul. Das war nie ein Geheimnis gewesen – alle hatten es schon immer gewusst. Alle, außer Kathy. Sie hatte sich bei ihrer ersten Begegnung vor vier Jahren in ihn verliebt. Ian sah umwerfend aus, war witzig und nett … aber eben auch schwul, wie er ihr bald schon sagte. Zunächst dachte Kathy, es sei eine Ausrede, weil sie ihm nicht gefiel – was ihr unerklärlich war, denn mit ihren grünen Augen und den dunkelbraunen Locken zog sie für gewöhnlich alle Männer an. Allerdings nur die Falschen, wie es schien.
Nun, schwul war schwul. Kathy wurde davon überzeugt, als sie ihn mit einem anderen sah. In der hinteren Ecke einer Disco hatte er sich ausgiebig mit einem Kerl amüsiert und ihn am Hals geküsst, während seine Hand zwischen den fremden Beinen verschwunden war. Der Unbekannte hatte zwar nicht annähernd so gut ausgesehen aus wie Kathys inzwischen bester Freund, aber der Anblick, der sich ihr damals geboten hatte, war ein Auslöser für etwas gewesen, das sie bis heute weder erklären, noch abstellen konnte; das Kribbeln kam selbst bei der bloßen Erinnerung an diese Nacht zurück.
„Ach, komm!“, warf sie ein und nahm sich eine Handvoll Chips. „Es kann doch nicht jeder, der gut aussieht, schwul sein! Die arme Frauenwelt!“
„Bi?“
Kathy zögerte. „Na gut“, willigte sie ein. „Das geht in Ordnung. So hat jeder was von ihm.“ Sie grinste zufrieden und zog den Blick ihres Sofa-Nachbarn auf sich.
„Was stellst du dir denn jetzt schon wieder vor?“, fragte dieser belustigt und bekam dafür prompt einen Seitenhieb.
Ihr Freund wusste von dem Kribbeln. Das Kribbeln, das sie spürte, wann immer sie an sich küssende Männer dachte. Kathy hatte Ian sogar erzählt, dass sie dieses Kribbeln gespürt hatte, als sie ihn zusammen mit diesem Kerl gesehen hatte. Es gab kaum ein Geheimnis zwischen den beiden. Ian vertraute sie restlos alles an – beinahe restlos. Und dafür, dass er sie stets so nahm, wie sie war, liebte Kathy ihren Freund.
„Ich wünsche mir manchmal, Piero wäre bi …“, überlegte Ian plötzlich laut, als Kathy sich längs auf das Sofa legte und den Kopf in seinem Schoß platzierte.
„Piero?“, wiederholte sie überrascht. „Der kleine Spanier?“
„Du musst zugeben, dass er schon ganz süß ist …“
„Und etwas zu jung für dich“, erinnerte Kathy feixend.
„Er ist achtzehn, genau wie du!“
„Du bist vierundzwanzig! Außerdem sind Frauen von Natur aus reifer, daher zählt mein Alter nicht.“
„Achtzehn ist doch absolut in Ordnung!“ Ian lachte und begann, mit Kathys Locken zu spielen, wickelte Haarsträhnen um seinen Zeigefinger und entließ sie wieder. Auf die laufende DVD achtete keiner der beiden mehr. So gut aussehend der Hauptdarsteller auch sein mochte – so langweilig war seine Rolle.
„Na, vielleicht hast du ja Glück …“, meinte Kathy geheimnistuerisch.
„Ach? Wieso?“ Ian schaute hellhörig auf sie herab, und Kathy grinste.
„Hast du ihn je mit einem Mädchen gesehen?“
Das hatte er sicher nicht, wie Kathy wusste. Sie hatte Piero erst vor fünf Tagen auf einer Party für die Zwölftklässler ihres Gymnasiums getroffen und mit ihm geredet. Eine Freundin aus der Zwölften hatte ihn mitgebracht und er war der Renner der Party. Selbst einige der älteren Mädchen hatten ihm interessierte Blicke zugeworfen. Doch die schienen Piero keineswegs zu kümmern. Er kam eher verschämt oder sogar abgeneigt rüber, wenn sich ihm ein weibliches Wesen näherte.
Kathy war ohne Ian auf der Party gewesen, da dieser an dem Abend noch hatte arbeiten müssen. Doch ohne ihren Freund an der Seite hatte der Abend wenig unterhaltsam angefangen – bis Kathy auf Piero gestoßen war. Er hatte bereits deutlich zu viel getrunken und sich zur Abkühlung auf einen Balkon gestohlen, als Kathy entschied, diese Gelegenheit zu nutzen. Zu verlockend war die greifbare Möglichkeit gewesen, Piero im Vollsuff über sein seltsames Verhalten auszukundschaften.
Dass dieser nur allzu bereitwillig zu reden begann, hatte Kathy mehr als überrascht. Es schien fast, als
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