Im Sog der Gefahr
einen Schnurrbart. Außerdem fiel Finn noch etwas ein – Gina hatte ihren Liebhaber als reine Bettgeschichte bezeichnet und gesagt, er habe keine Skrupel. Wenn es um Frauen ging, hatte Mike Toben kein Gewissen.
Aber er musste sich irren. Die Tobens waren nette Leute, oder etwa nicht?
»Danke.« Er hielt am Eisenwarenladen an, und obwohl kein Licht brannte und das ›Geschlossen ‹ -Schild in der Tür hing, probierte er den Türknauf. Als nichts geschah, stieg er in seinen Wagen und fuhr zum Haus der Tobens. Anitas Wagen war nicht da, Mikes Transporter ebenfalls nicht. Wo konnten sie sein? Dann fiel ihm der alte Pfad ein, der über das Grundstück der Familie führte. Er war eher für geländegängige Quads als für PKW s geeignet, aber wenn man nicht gesehen werden wollte, war er die Strecke der Wahl. Verflucht, einen anderen Anhaltspunkt hatte er nicht.
Also fuhr er los und kam sich wie der größte Idiot vor, bis er die abgerissenen Äste und die Reifenspuren im Schlamm sah. Hier waren eindeutig vor Kurzem Fahrzeuge entlanggefahren.
Er rief Hollys Handy an. Ein scharfer Adrenalinstoß durchfuhr in, als er sofort auf die Mailbox geleitet wurde. Er hinterließ ihr eine Nachricht. Vielleicht war sie bei jemandem zu Besuch und frühstückte gerade. Wahrscheinlich würde sie ihn auslachen, und sie würden sich gut überlegen müssen, wie er in Zukunft mit den Gefahren umgehen sollte, die ihr Beruf nun mal mit sich brachte. Vorausgesetzt ›ich liebe dich‹ hieß dasselbe wie ›ich will dich kennenlernen und ein bisschen Zeit mit dir verbringen.‹ Fünfzig Jahre sollten so gerade ausreichen.
Wenn er sie fand, würde er sie für eine ganze Woche in sein Bett zerren. Und nichts anderes tun als Sex zu haben, tauchen zu gehen und wieder Sex zu haben. Vielleicht etwas essen und Bier trinken. Na gut, das war eine lahme Männerfantasie, aber
wo zum Teufel war sie?
Er fuhr das Fenster herunter und suchte nach Fahrzeugen, die im Gebüsch abgestellt waren. Vorsichtig trat er auf die Bremse, als ein großer, schwarzer Bär gemächlich vor seinem Wagen vorbeischlenderte. Der Bär kam auf ihn zu und schnupperte unbeeindruckt, während Finn das Tier wachsam beobachtete. Dann wurden sie beide von einem Schuss aufgeschreckt, und alles Blut wich aus Finns Adern. Als sich der Bär davonmachte, entdeckte Finn vor sich auf dem Pfad zwei Fahrzeuge – Anitas kleinen PKW und Mikes Transporter. Er schaltete den Motor aus und schlüpfte leise aus der Tür.
Lautlos bewegte er sich durch den feuchten, undurchdringlichen Wald, und musste den Drang niederkämpfen, schnell statt unbemerkt zu laufen. Was, wenn Holly verletzt war? Jede Sekunde zählte. Aber wenn er ohne einen Anhaltspunkt in die Situation platzte, würde er damit niemanden retten, und er wusste instinktiv, dass Holly in Gefahr war.
Mit einiger Verspätung rief er Malone an, um ihm seinen Standort durchzugeben.
»Vor etwa fünf Minuten hat Holly die 911 angerufen. Wir versuchen, ihren Standort einzugrenzen«, teilte Malone ihm mit. Er klang atemlos.
»Ich glaube, ich habe sie gefunden.« Er beschrieb ihm den Weg und legte auf, steckte das Handy in die Tasche und kroch durchs Gebüsch. Er spähte an gewaltigen Kiefern und Fichten vorbei, stieg vollkommen geräuschlos über umgestürzte Zedern. Endlich sah er sie. Holly lag auf den Knien, und Grant Toben hatte eine Pistole in der Hand, während Mike Toben verwirrt umherlief. Auch Anita war da.
Holly versuchte, aufzustehen. Gott sei Dank konnte er kein Blut entdecken. Dann zog Mike eine Pistole aus seinem Hosenbund, und Finn gefror das Blut in den Adern.
Ihm lief die Zeit davon.
»Sie lügt. Ich habe niemanden umgebracht.« Grant Toben klang wütend, weil sie nicht wie ein braves Mädchen gestorben war.
Holly lachte und kämpfte sich taumelnd und benommen auf die Beine. Wenn sie nahe genug an Mike herankam, um ihm die Pistole zu entreißen, würde sie die Gelegenheit ergreifen. Wenn nicht, würde sie sich ins Gebüsch schlagen und durch den Wald rennen, wo sie zumindest versuchen konnte, sie abzuschütteln. Da sie noch unsicher auf den Beinen war und ein mulmiges Gefühl im Magen hatte, standen ihre Chancen schlecht, aber es war besser, als liegen zu bleiben und sich eine Kugel zwischen die Augen einzufangen.
Als sie an Finn dachte und hoffte, er würde nicht so verzweifelt enden wie sein Bruder, stachen aufsteigende Tränen in ihren Augen. Gewaltsam schob sie den Gedanken fort. An Finn zu denken würde sie im
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