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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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einordnen. Aber die anderen beiden? Seine anderen beiden Schäfchen? Sicher, es gibt genug neue Fälle inzwischen. Und keiner hat Interesse an diesen alten Geschichten. Von denen zwei gerade mal ein Jahr her sind. Als er neben ihnen im Moor hockte, hätte er nicht gedacht, dass sie so frisch sind. Der Moorexperte hat es genau erläutert, dass es Sauerstoffeinschlüsse oder so etwas Ähnliches gab. Alles auf Band, alles auf Band.
    Der Mann ohne Bein, ein kleiner Schmierlapp, den die Großen fallenließen. In den Neunzigern an der Tür aktiv. Verstrickt in die Schüsse auf diesen Punk. BUMM BUMM. War nicht sein Fall, aber er erinnert sich gut. Im Kreis herum, im Kreis herum …, wenn er sich denn schließen würde! Den Schwiegervater des Schmierlapps, den Professor, haben sie damals ordentlich verknackt. War ja auch seine Wumme, Jagdgewehr, und sein Auto, Mercedes, ein riesiger Schlitten, den der Punk gestohlen hatte. Zumindest dachte das der Schwiegervater – tödlicher Irrtum. Und der Schmierlapp und die Freunde vom Schmierlapp sind zusammen mit dem Professor losgezogen, um das Auto zurückzuholen. Dabei löste sich ein Schuss. »Schmierlapp«, so nannten sie früher die kleinen Fische in Köln. Fische. Kein gutes Wort dafür. Es erinnert ihn an diese Vorabendserie. St. Pauli. Die Folklore von den guten Bullen und den goldherzigen Huren. Alle meine Huren. Kleine Fische, große Haie. Alles Unsinn. Geschäfte, wie überall. Und ob er im dunklen Haus aktiv war, wissen sie nicht. Vielleicht am Rande, so wie er immer am Rande war, Mister Schmierlapp.
    »Lieber Freund, wie schmeckt es Ihnen?«
    »Gut, sehr gut. Ich glaube jetzt doch, dass ich diesen Kuchen schon einmal gegessen habe, in all den Jahren, die ich jetzt hier bin. Kühl und cremig zugleich.«
    »Ich hätte es nicht besser sagen können. Es sind die Schichten und der Quark im Teig, der die Dresdner Schecke so einzigartig macht. Und wie Sie sehen und schmecken, auch hier in dieser Stadt.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, spricht er weiter: »Es gibt noch eine Nebenart der Dresdner Eierschecke. Die Freiberger Eierschecke. Die, lieber Freund, ist weitaus flacher und enthält, leider leider!, keinen Quark. Aber auch sehr schmackhaft. Waren Sie schon einmal in Freiberg?«
    »Wenn Sie das Freiberg mit der Bergakademie meinen, nein.«
    »Hm, hm.«
    Dann sitzen sie, zurückgelehnt in ihre Korbstühle, und starren durch den Spiegel hindurch in die Dunkelheit des Gartens.
    »Wenn Sie wissen, wer von ihrem Tod profierte, damals wie heute …«
    »Das sollten eine ganze Menge Leute sein, wenn es stimmt, was Sie sagen.«
    »Sie haben Zweifel.«
    »Wenn ich die nicht hätte, wäre ich nicht hier.«
    »Sie werden keinen Täter finden, weil es keinen gibt.«
    »Für alle drei?«
    »Natürlich gibt es den Mann mit der Waffe, den Mann mit der Pistole, den Mann mit dem Dolch …«
    »Und den Mann mit dem Bren.«
    »Und den Mann mit dem Bren, meinetwegen. Ja, vielleicht. Erinnerst du dich an den Steinmann, Mister Lübbke , den Verwalter der Häuser und Grundstücke.«
    »Der Hauptabteilungsleiter für Immobilien- und Eigentumserklärung? Natürlich. War ich mit dran an dem Fall. Frau Kahn, ja. So weit waren wir schon.«
    »Frau Kahn, natürlich. So weit waren wir schon. Sie wissen es doch alles selbst.«
    »Wenn ich alles wüsste, wäre ich nicht hier.«
    »Gemach, gemach. Trinken Sie noch einen mit, Herr Kollege?«
    »Aber sehr gerne, Mister Ness.«
    BUMM BUMM. Der letzte Blick. Der Steinmann. Auf den sie viermal geschossen haben. Lübbke, Schnauze! Der trotzdem immer noch lebt. Weit weg jetzt. Und ganz woanders. Die Abteilung OK hat damals den Fall übernommen. Andere waren noch mit drin. Die A, die Ämter. BKA. LKA. Lange her. »Und wer hat damals weggeschaut? Wer hat gewusst, dass die Schüsse fallen, und die anderen machen lassen, AK und die anderen …« Das Netz legt sich über ihn. Er weiß, dass sein Körper noch schläft. Apnoe. Hat er öfters. Er hört, wie er immer wieder nach Atem ringt. Der Silberfaden zwischen den Immobilien und denen, die investieren. Die Immobilien wollen. Denen der Hauptabteilungsleiter im Weg steht. Präteritum. Lange her. Eliot Ness hat recht. Es gibt keinen Täter. Die Geschäfte haben sich selbständig gemacht. Er will nichts davon wissen. Jetzt nicht mehr. Die Valachi-Papiere. Was für ein Scheiß. Legenden und Märchen. »Natürlich gibt es den Mann mit dem Dolch, den Mann mit der Pistole …« Ja, aber wo, verdammt nochmal, ist er?

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