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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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gräbt und wühlt Ness nur noch für sich, Akten, Daten, Geld, Namen, Verbindungen, Verschiebungen.
    »Noch einen Cognac, Kollege?«
    »Aber gerne, Mister Ness.«
    Eliot Ness steht auf und geht zu dem altmodischen Bar-Wagen, der an der Glaswand steht. Zwei der großen Fenster sind angekippt, und es scheint ihm, dass er das Rauschen der Bäume draußen hört. Ein Garten mit verschiedenen Bäumen, Apfelbäume, einige schon alt und verkrüppelt, und eine große Kastanie, um die die Apfelbäume wachsen, kreisförmig fast, die Kastanie in der Mitte wie der Mutterbaum. Oder Vater. Als seine Mutter neunzehnhundertneunzig starb, rauchte er noch. Es ist schwer, nicht zu rauchen, wenn die Angehörigen gehen. Ness gibt ihm da recht. Hinter ihnen an der Wand, links und rechts neben der Tür, hängen zwei Bilder unter Glas, Graphiken oder sowas, er kennt sich da nicht so aus. Der alte Bulle hat das Diktiergerät in seiner Jackentasche. »Leg doch ab.«
    »Danke. Ich fühl mich besser mit Jacke.« Was für ein blöder Spruch, denkt er.
    »Dann lass uns doch in den Wintergarten gehen.«
    Und da sitzen sie nun. Das Diktiergerät ist aus. Was soll er auch aufnehmen, sein Gedächtnis ist noch ganz gut.
    Ness bringt die beiden Cognac-Schwenker zu den Baststühlen und dem kleinen Tisch. Stellt sie auf die Marmorplatte. Passt irgendwie nicht zusammen das Mobiliar, denkt der alte Bulle. »Warst du bei ihr?«
    »Bärbel Kahn? Bei ihrem damaligen Freund. Der weiß nichts.«
    »Der sagt nichts. Ich weiß.« Ness setzt sich. Er raucht wieder. Prince of Denmark. »Ohne Zusatzstoffe, reiner Tabak«, wie ihm Ness einmal sagte.
    »Schonmal was von den ›Outsiders‹ gehört, Mister Ness?«
    »Hm.« Ness nickt. Schwenkt den Cognac im Glas. Fast schon bizarr groß sind diese Cognac-Tulpen, der alte Bulle hat solche riesigen bauchigen Cognac-Schwenker noch nie gesehen.
    »Alles im Wandel. Aber auch die werden aus der Stadt verschwinden. Was wird mit den Engeln, musst du dich fragen.«
    »Und der Alte?«
    »Vom Berge …« Ness lacht. »Wird vielleicht auch verschwinden.«
    »Einfach so?«
    »Nein. Dafür sitzt er zu lange dort, wo er sitzt.« Auf seiner Schulter leuchtet das blonde Haar der Bärbel Kahn. Gut sieht sie aus für eine Achtundvierzigjährige. Das ist ein gutes Alter, um gut auszusehen. »Ich habe dir doch erzählt, von den Valachi-Papieren. Was denkst du, warum der Mann dort sitzt, wo er sitzt. Über all die Jahre.«
    »Immer feste druff?« Der alte Bulle grinst, weil er den Tonfall der Einheimischen imitiert.
    »Das auch, mein Freund, das auch. Zumindest zu Anfang. Aber die Silberfäden greift man sich nicht einfach so.«
    »Du meinst …«
    »Er weiß. Und er hat Material. Du kannst dich doch an diese böse Sache erinnern, dreiundneunzig. Das Haus. Die Wohnung. Im Winter dann flog alles auf.«
    »Der Alte hatte damit nichts zu tun, soweit ich weiß. Nein, definitiv hatte er damit nichts zu tun.«
    »Richtig, Herr Anwalt. Aber andere. The Princes of Denmark. Nicht königlich zwar, aber weit oben. Und gerngesehene Gäste in diesem dunklen Haus.«
    »Und mein Fall …« Er bereut sofort, dass er zu schnell war. Er trinkt einen Schluck Cognac aus dem riesigen Glas, atmet den Duft ein, alt, dunkel und schwer.
    »Hat nichts damit zu tun, im Prinzip.« Sie blicken schweigend auf die Fenster, sehen ihre blassen Spiegelbilder, die mit den Schemen der Bäume und des Gartens zu verschmelzen scheinen. Nur eine kleine Stehlampe neben ihnen gibt Licht. VSOP – very superior old pale.
    Ness tippt auf die kleine Bronzestatue auf dem Tisch. »Ist ein Puma. Habe ich mal in Amerika gekauft. Ist von einem berühmten Künstler, Bildhauer und Maler, seine Pferde und Cowboys und Tiere sind einzigartig. Selbst im Oval Office steht eine Arbeit von ihm.«
    »Jetzt klingst du selbst wie der Alte vom Berge oder die Prinzen mit den Silberfäden …«
    »Wenn ich ein Machiavelli wäre, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Und Cognac trinken mit dir. Und über die Toten reden.«
    Und die Toten liegen in der Rechtsmedizin, der veralteten Gerichtsmedizin, liegen in Metallschubfächern, ihr Verfall beginnt durch den Sauerstoff, der ihnen in den Jahren ihrer Ruhe im Moor kaum zu nahe kam, unaufhaltsam, im Kalten erhalten sie sich halbwegs bis zur Beisetzung, aber die Stunden im Freien haben ihnen zugesetzt. Ach, legt euch nieder, ihr müden Glieder . Dennoch sind es die Häute, die Hautschichten ihrer Augen, die ihn interessieren. Die letzten Blicke. Ein Blick

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