Im Sturm der Sinne
der Pfanne lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. »Wird dann all das geschehen?«
»O nein, Kind. Es ist schon geschehen. Mallory wird nur darüber schreiben.«
»Nichts in diesem Buch ist wahr«, sagte sie. »Nichts. Es gab keinen König Artus oder Camelot. Das Verhalten der Männer, auf die ich gestoßen bin, war alles andere als ritterlich.«
Der Magier lächelte. »Abgesehen von Gilead, nehme ich an.« Er schien tief in Gedanken versunken zu sein, dann nickte er, mehr zu sich selbst. »Mallory wird die Geschichte ausschmücken, das ist sicher, aber erst eine Frau wird einige Jahrhunderte später die Verbindung herstellen.«
Deidre begann sich zu fragen, ob der alte Mann einfach nur verrückt war. Er hatte sich schon seltsam benommen, als er sich vor so vielen Jahren beim Schrein angesiedelt hat. Dieses Gerede über die Zukunft – das waren alles Dinge, die er unmöglich wissen konnte. Trotzdem siegte wieder ihre Neugier. Eine Frau … konnte das die Trägerin der Weisheit sein, von der die Fee gesprochen hatte?
Diesmal lachte der Druide. »Nein, die Frau ist nicht die Göttin, für die du sie hältst«, sagte er, obwohl sie ihre Gedanken nicht ausgesprochen hatte, »trotzdem aber eine sehr kluge Frau.«
Trotz des benommenen Nebels, der sich in ihrem Kopf zusammenbraute, fragte Deidre weiter. »Ihr wolltet, dass ich das Buch lese – warum? Sagt mir, was Ihr wisst.«
Er stellte seinen Wein ab und begann mit kräftigen Schritten und sehr geradem Rücken für jemanden seines Alters, auf und ab zu gehen. »Wie ich gesagt habe«, hob er an, »die Geschichten in dem Buch sind wahr, aber vielleicht nicht dort, wo sie die Geschichte angesiedelt hat. Eine Frau namens Norma Goodrich wird viel später entschlüsseln, dass Lancelot eigentlich eine ungenaue Übersetzung aus dem Lateinischen ins Altfranzösische ist. Es hätte ›l’Ancelot‹ lauten müssen. Ein schändlicher Fehler, wie sich herausgestellt hat.«
Deidre runzelte die Stirn. »Also ist sein Name falsch geschrieben. Aber gibt es keinen Lancelot – oder l’Ancelot – hier.«
»Bist du dir so sicher?« Der alte Mann hielt inne. »Der lateinische Name war Anguselus.«
»Anguselus?«, fragte Deidre und schnappte nach Luft. »Angus?« Angus ist Lancelot?« Als er nickte, legte sich ihre Stirn erneut in Falten. »Aber was ist mit Gwenhwyfar? Niemand mit diesem Namen …«
»Ah. ›Gwenhwyfar‹ bedeutet im Westen dieser Insel ›weißer Schatten‹«, sagte der Druide und faltete seine Hände hinter dem Rücken. »Hier im Norden, würde sie ›Findabair‹ heißen, oder ›weißes Phantom‹.« Er musterte Deidre. »Du kennst sie als ›Formorian‹.«
Deidre fühlte, wie ihre Knie schwach wurden und sie sank in einen Stuhl. Das erklärte die unwiderstehliche und übermächtige Anziehungskraft, die sie füreinander fühlten. »Und Artus? War es Turius?«, fragte sie schwach.
Der Magier nickte mit traurigem Blick. »Arturius hat uns eine große Aufgabe hinterlassen«, sagte er sanft. »Wenn er nur auf mich gehört hätte …« Sein Kopf fuhr nach oben, seine Augen glänzten verdächtig. »Aber kümmere dich nicht um mich, Kind. Ich bin nur ein alter Mann. Ich werde dich nun verlassen.« Er nahm das Buch und ging zur Tür.
»Warte!«, rief Deidre, als er schon an der Tür stand. »Ihr seid Merlin, nicht wahr?«
Einen Augenblick lang glühten seine Augen so gelb wie die eines Habichts, dann lächelte er. »Das ist einer der Namen, auf die ich höre.« Und noch bevor sie weitere Fragen stellen konnte, war er verschwunden.
Sie saß still, mit flatterigen Händen da, und versuchte, nicht zu zittern. Also war alles wahr, auch wenn sich die Geschichte nicht so entwickelt hatte, wie sie es erwartet hatte.
Oder vielleicht doch. In dem Buch war Lancelot gezwungen, Elaine zu heiraten, die Tochter des verwundeten Königs der Fischer. Gileads Großvater war ein Schwertstich zugefügt worden, der nicht verheilte. Die Legende zeigte zwar deutlich, dass Lancelot Elaine nicht liebte, dennoch hatte sie ihm einen Sohn namens Galahad geschenkt. Elaine. Elen. Die Frau, deren Rose auf dem Tischläufer zeigte, dass sie der Heiligen Blutlinie angehörte.
Galahad. Gilead. Deidre hatte endlich ihren wahren Ritter gefunden. Der einzige Mann, der reinen Herzens war, um ihr dabei zu helfen, den Stein der Weisen zu finden.
Vielleicht war es aber doch Galahad, der den heiligen Gral gefunden hatte.
Anmerkung der Autorin
Lancelots Herkunft war immer unklar
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