Im Tal der bittersüßen Träume
anderes.«
»Mit Baumwolle haben wir gar nichts zu tun«, sagte Evita erstaunt. »Gibt es hier noch einen anderen Paddy in der Gegend?«
»Um Himmels willen, nein! Der eine genügt!«
Der Kanister war leer. Dr. Högli ließ ihn auf die harte, zerrissene Erde poltern. Mit dem Unterarm wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
»Jetzt wird Ihre Riesenkiste wieder schnurren!« sagte er. »Fahren Sie hinter mir her, ich zeige Ihnen den Weg, bis Sie abbiegen müssen zu Paddy.«
»Sie halten nicht viel von Señor Paddy?« fragte Evita. Sie machte keine Anstalten, die Motorhaube zu schließen und in den Wagen zu steigen. »Was ist er für ein Mann?«
»Was hat Ihnen Ihr Vater über ihn erzählt?«
»Nichts. Ich soll ihm ein dickes Kuvert übergeben und, wenn ich Lust habe, weiterfahren bis Acapulco. Drei herrliche Wochen am Ozean. Acapulco ist märchenhaft schön. Kennen Sie es?«
»Nein. Ich habe einen Ozean kranker Menschen um mich.«
Sie sah ihn wortlos an, so wie man ein ganz seltenes Gemälde betrachtet, warf den Tankverschluß wieder in die hitzeflimmernde Luft, fing ihn auf und schraubte ihn auf den Stutzen. »Ist Paddy ein Ekel, Doktor?«
»Sie werden ihn ja kennenlernen.«
»Wird er mich belästigen?«
»Wäre er der erste Mann, der das versucht?«
»Nein!« Sie lachte wieder und schob die dünne Jacke des Hosenanzuges zur Seite. Über der Hüfte, an den Gürtel geschnallt, hing ein kleiner Revolver in einem offenen Halfter. »Ich habe schon einmal einem zu feurigen Liebhaber in den Fuß geschossen.« Sie sagte es geradezu fröhlich, es gab einen neuen Farbtupfer auf dem Bild, das Dr. Högli sich von dieser Evita Lagarto gemacht hatte. Sie war zwar eine Luxuspuppe, aber die Abenteuerlust und der zähe Mut ihrer spanischen Vorfahren, der Konquistadoren, lebten in ihr noch weiter.
»Fahren wir?« fragte er. Die Gegenwart dieser Frau begann ihn zu verwirren. Er empfand plötzlich den Wunsch, sie möge jetzt sagen: Kann ich bei Ihnen wohnen, im Hospital? Und dann sollte sie bleiben, tagelang, wochenlang, bis sie sagen würde: Ich habe mich an Santa Magdalena gewöhnt, kann ich für immer bleiben?
Dr. Högli wandte sich ab. Diese verfluchte Sonne! Die Gedanken schlagen Blasen wie ein zerplatzender Hefeteig im überhitzten Ofen. Er kletterte in seinen Jeep, ließ sich auf den heißen Sitz fallen und drehte den Zündschlüssel.
Evita blieb verblüfft stehen, bückte sich dann, hob die leeren Kanister auf, warf sie in ihren Kofferraum und schloß knallend die Motorhaube. Ein merkwürdiger Knabe, dieser Dr. Högli. Die meisten Männer benahmen sich in ihrer Gegenwart anders. Sie wurden zu balzenden Hähnen und merkten nicht einmal, wie lächerlich sie wirkten mit ihrer Geziertheit, den hochgeschraubten Reden, der vorgetäuschten Gescheitheit und dem Bemühen um eine besonders sonore Stimme. Nur dieser Dr. Högli – dem Namen nach müßte er Schweizer sein – benahm sich, als habe er nicht einer ungewöhnlich schönen Frau Benzin, sondern einer verirrten Alpkuh eine Handvoll Gras gegeben.
»Sind Sie Schweizer?« rief sie, als Dr. Högli langsam an ihr vorbeifuhr.
»Ja. Aus St. Gallen!« rief er zurück. »Warum?«
»Ich dachte mir's!«
Er zuckte die Schultern; es war eine Antwort, mit der er nichts anfangen konnte. Evita stieg in ihren Riesenwagen.
Sie fuhren drei Stunden lang in einer einzigen, heißen Staubwolke, bis sie in den weiten Talkessel kamen, in dem Santa Magdalena lag. Von der Hochebene senkte sich die ›kriminellste Straße der Welt‹, wie Pater Felix sie nannte, in dieses Tal, das nun vor ihnen lag wie eine riesige Pfanne, in der Mensch und Vieh gebraten wurden.
Evita Lagarto hielt an und stieg aus. Dr. Högli legte den Rückwärtsgang ein und fuhr zu ihr.
»Das ist ja eine Hölle«, sagte sie leise. Eine dicke Staubschicht bedeckte sie; sie war die ganze Zeit mit offenen Fenstern und zurückgeklapptem Dach gefahren.
»Geologen meinen, das sei ein großer vulkanischer Trichter, etwa wie der Ngorongoro-Krater in Tansania. Sehen Sie sich die Bergformationen an! Das waren einmal Vulkane.«
»Ich sehe mir Santa Magdalena an.« Evita zeigte ins Tal. »Das da hinten, die weißen langgestreckten Gebäude …«
»Das ist mein ›Hospital Henri Dunant‹.«
»Und Paddys Haus?«
»Ist von hier aus nicht zu sehen. Mir gegenüber ist ein Einschnitt, ein zweites, langgestrecktes Tal …«
»Ich sehe den Eingang.«
»In diesem Tal liegt seine Hacienda. Ein Märchenbesitz. 1001 Nacht in
Weitere Kostenlose Bücher