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Im Tal der Giganten

Im Tal der Giganten

Titel: Im Tal der Giganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ganzer Länge aufgerissen. Fast die gesamten
Deckaufbauten waren verschwunden, und der zersplitterte
Mast lag zwanzig Meter entfernt auf dem Eis. Das Schiff
mußte von einer Welle erfaßt und regelrecht auf den
Strand geschmettert worden sein. Wie jemand diese
Katastrophe überlebt haben sollte, war Mike ein Rätsel.
Singh kam ihnen entgegen, als sie das Wrack umrundeten. Er hatte den rechten Handschuh ausgezogen und trug
einige Papiere in der Hand, in denen er im Gehen blätterte.
Unter den anderen Arm hatte er einen in schwarzes Leder
gebundenen Folianten geklemmt; vermutlich das Logbuch
des Schiffes. »Wie sieht es aus?« fragte Mike - obwohl ein
einziger Blick in Singhs Gesicht diese Frage eigentlich
überflüssig machte. Der Sikh sah sehr erschrocken drein.
»Geht lieber nicht hinein«, antwortete Singh. »Dort
drinnen ist alles kurz und klein geschlagen. Ihr könntet
euch verletzen. «
»Waren -«, begann Juan, brach dann schon nach dem
ersten Wort wieder ab und sah Singh hilfesuchend an.
Aber Singh beantwortete seine Frage, auch ohne daß er sie
laut aussprechen mußte. »Nein, ich habe keine Toten
gefunden«, sagte er. »Offensichtlich haben sie es alle
überstanden. « Er schüttelte den Kopf und maß das
zertrümmerte Schiff mit einem langen Blick. »Das
Funkgerät ist ausgebaut worden«, fuhr er fort. »Und
anscheinend haben sie auch alles andere mitgenommen,
was sie irgendwie tragen konnten. Ich verstehe nur nicht,
warum. «
»Hätten sie es hierlassen sollen?« fragte Juan. Singh
würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. »Das Schiff mag
ein Wrack sein. Aber hier hätten sie immerhin ein Dach
über den Kopf gehabt«, fuhr er fort. »Warum haben sie es
verlassen? Seht euch nur diese Wand an. «
Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Steilwand
aus Eis, die den Strand einschloß. Sie war gute zehn Meter
hoch und glatt wie ein Spiegel. Nirgends gab es eine
Stelle, an der man bequem oder auch nur ungefährdet hätte
hinaufgelangen können. »Das ist eine lebensgefährliche
Kletterei. So etwas macht doch niemand ohne triftigen
Grund. Noch dazu mit einem Verletzten. «
»Ein Verletzter?« wiederholte Mike. »Woher willst du
das wissen?«
»Weil ich ein paar blutige Verbandsreste gefunden habe«, antwortete Singh. »Außerdem ist es einfach unmöglich, daß sie diese Bruchlandung alle unversehrt
überstanden haben sollen. « Er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Buch. »Ich bin noch nicht dazu gekommen,
es zu studieren, aber ich glaube, daß mindestens fünf
Menschen an Bord waren. Vielleicht sogar mehr. Ich
verstehe nicht, warum sie weggegangen sind. « »Aber sie
sind es nun einmal«, sagte Juan. »Und ich fürchte, uns
wird nichts anderes übrigbleiben, als ihnen zu folgen. « Er
schauderte sichtbar, aber das lag wahrscheinlich nicht an
der beißenden Kälte, sondern eher am Anblick der
Eiswand, die sich hinter ihnen erhob. Auch Mike gefiel
die Vorstellung, dort hinaufklettern zu müssen, mit jeder
Sekunde weniger. Gestern, vom Deck der NAUTILUS aus
betrachtet, hatte die Wand beinahe harmlos ausgesehen,
eine weiße Mauer eben, hoch, aber trotzdem nicht mehr
als ein Hindernis, das man mit wenig Mühe schon
irgendwie überwinden konnte. Jetzt erschien sie ihm wie
eine himmelhohe, unüberwindliche Barriere. Auch Singh
musterte die Eiswand einige Augenblicke lang
schweigend, dann drehte er sich mit einem Ruck herum
und begann auf das Boot zuzugehen. Mike und Juan
folgten ihm. Singh verstaute das, was er an Bord des
Wracks gefunden hatte, sorgsam in einen wasserdichten
Seesack, den er wohl eigens zu diesem Zweck mitgebracht
hatte, und holte ein ganzes Sammelsurium von Steigeisen,
Haken sowie ein zusammengerolltes Seil aus einem
zweiten Rucksack. Das Seil hängte er sich über die
Schulter, während er seine übrige Ausrüstung auf die
verschiedenen Taschen seiner dicken Pelzjacke verteilte.
Als letztes nahm er einen kurzstieligen Hammer zur Hand.
»Ich gehe zuerst einmal allein«, sagte er. »Ihr wartet
hier, bis ich oben bin und mich ein wenig umgesehen
habe. «
»He, Moment!« protestierte Mike, aber Singh ließ ihn
gar nicht zu Wort kommen.
»Es ist viel leichter, wenn ich allein gehe«, sagte er entschieden. »Ich hole euch sofort nach, wenn ich oben bin. «
Mike sparte sich die Mühe, Singh umstimmen zu wollen. Der Sikh ließ zwar keine Gelegenheit aus, ihm zu
Diensten zu sein und ihm jeden Wunsch von den Augen
abzulesen, aber wenn es darum ging, irgendeine - und sei
es nur mögliche -

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