Unter Trümmern
Neuer Mainzer Anzeiger
Freitag, 28. Februar 1946
Brutaler Überfall in Bodenheim
Ein toter Wachmann und ein schwer verletzter Einbrecher
Die Serie der bis heute ungeklärten Einbrüche und Überfälle auf Warendepots und Lager, die seit einigen Wochen Polizei und Bevölkerung im Umland von Mainz in Atem hält, hat in der vergangenen Nacht einen traurigen Höhepunkt erreicht
.
Dieses Mal war ein Lager in Bodenheim, in dem dringend benötigte Medikamente und Impfstoffe aufbewahrt werden, das Ziel der Einbrecher. Bei dem Überfall, an dem nach Angaben der Polizei mindestens drei Männer beteiligt waren, kam einer der deutschen Wachmänner ums Leben
.
Wolfgang H. hatte an diesem Abend seinen Rundgang früher als gewohnt begonnen. Plötzlich hörten seine beiden Kollegen, die in der Dienststube waren, einen Schrei und kurz darauf einen Schuss. Sofort eilten sie in Richtung der Geräusche und erkannten zwei Männer bei dem Versuch, über die Mauer, die das Gelände umgibt, zu fliehen. Sie nahmen die Verfolgung auf, aber der Vorsprung der Einbrecher war zu groß. Darauf begannen sie die Suche nach ihrem Kollegen, den sie schließlich in einer Blutlache fanden. Eine Kugel hatte ihn genau ins Herz getroffen. Nicht weit entfernt von dem Toten lag einer der Einbrecher mit Stichwunden. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht
.
Die Polizei geht davon aus, dass Wolfgang H. die Einbrecher überraschte, es zum Kampf kam und der Einbrecher auf ihn schoss
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Von den beiden flüchtigen Männern fehlt jede Spur
.
Die Polizei nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass Überfälle wie der in Bodenheim mit immer größerer Brutalität durchgeführt werden und immer häufiger Schusswaffen benutzt werden. Da es den Wachmännern aufgrund der Vorschriften der französischen Militärverwaltung nicht erlaubt ist Waffen zu tragen, sind sie bei solchen Überfällen in den meisten Fällen chancenlos
.
Mit dem Tod des Wachmanns Wolfgang H. hat die Gewalt einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht
.
Wer hinter diesen Einbrüchen steckt, konnte bislang nicht ermittelt werden. Die Polizei geht davon aus, dass ein Großteil der Überfälle in den vergangenen Wochen auf das Konto einer organisierten Bande geht. Aufschluss erwartet die Polizei von dem Verhör des verletzten Einbrechers
.
Überfälle wie dieser sind umso verwerflicher, als Medikamente und Impfstoffe Mangelware sind und von der unterversorgten Bevölkerung dringend benötigt werden. Besonders viele Kinder sind in diesem äußerst kalten Winter darauf angewiesen
.
28. Februar – 5. März 1946
I
An den Wänden war die Feuchtigkeit gefroren und das flackernde Licht der von der Decke hin und her baumelnden nackten Glühbirne schuf auf dem tapetenlosen Mauerwerk das Bild einer bizarren Flusslandschaft. Durch die morschen Holzrahmen der mit Eisblumen bedeckten Fenster drang ein steter kalter Windstrom in den Flur. Niemand wäre auf die Idee gekommen, hier zu heizen, es wäre ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Trotzdem standen sechs Männer im zweiten Stock nahe dem Treppenaufgang zusammen, drei von ihnen eine Zigarette in der Hand, die Mantelkragen hochgestellt und die Hüte bis an die Augenbrauen ins Gesicht gezogen. Sie sprachen miteinander, über die Versorgungslage, die Wohnung, Einquartierungen, aber auch über Dienstliches wie Einbrüche, Kohleklau, Überfälle, ihre eigene mangelhafte Ausrüstung. Wenn dies eine Filmszene gewesen wäre und jemand hätte den Ton abgedreht, wäre sofort zu erkennen gewesen, wer gerade sprach, denn jedes gesprochene Wort wurde von einem Schwall gefrorenen Atems begleitet. Die rhythmische Hintergrundmusik dazu lieferten die Absätze der Männer, die im Kampf gegen die Kälte ihre Sohlen gleichmäßig auf den nackten Betonboden stießen.
Paul Koch hörte das Schlagen der Schuhe schon beim Eintritt in das Foyer der alten Gewerbeschule, die jetzt als Polizeidirektion diente. Er ließ sich Zeit, stieg gemächlich die Stufen nach oben. Nur nicht zu schnell, sonst würde sich die Wunde im linken Oberschenkel wieder bemerkbar machen, da, wo ihn die Kugel erwischt hatte.
Die Stimmen oben wurden leiser, sie hatten ihn schon gehört. Dass er sich bei der Kälte so langsam bewegte, schürte ihren Verdacht, dass er möglichst viel von ihren Gesprächen mitbekommen wollte, ein verfängliches Wort, einen verräterischen Ausruf.
Als Koch den zweiten Stock erreicht hatte, waren für einen Moment alle Blicke auf ihn gerichtet, dann wandten sie sich ab, stumm,
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