Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
Vom Netzwerk:
haben die letzten drei Monate fast ausnahmslos im Bett verbracht, aber du hast dich darüber nie beschwert.«
    Ich versuchte, es ihm zu erklären, doch er hörte gar nicht zu, und während er immer weiter tobte, hielt ich kurzerhand den Hörer etwas von mir fort und erklärte mich am Schluss bereit, ihn am nächsten Tag noch mal zu treffen, um ihm dann in Ruhe meine Beweggründe zu erläutern.
    Nach dem Telefongespräch setzte ich mich so benommen, wie man es nach einem ausgiebigen Mahl oder einer schwierigen Entscheidung war, auf meine Couch. Es war halb neun, und urplötzlich tauchte ein dünner weißer Halbmond in der Ecke meines Fensters auf und weckte in mir das verzweifelte Verlangen, noch mal vor die Tür zu gehen.
    Ich fühlte mich schon besser, als ich auf den Gehweg trat. Laufen ist für mich einfach die beste Therapie. Weil man sich, wenn man nach Luft ringt, ganz einfach keine Sorgen machen und auch keine Schuldgefühle haben kann. Ich lief langsam los und beschleunigte mein Tempo, als ich meinen Rhythmus fand. Vor der Anchor Tavern in der Butler’s Wharf lungerten die Raucher vor der Tür und beobachteten, wie ein Schlepper sich stromaufwärts kämpfte wie ein alter Mann, der mühselig auf allen vieren kroch. Bei der Golden Hinde blieb ich stehen und absolvierte meine Dehnübungen. Der Schiffsnachbau war für die Touristen beleuchtet, damit man die dicke, goldene Farbe und die blankgeputzten neuen Fenster besser sah. Francis Drake hätte sich sicher totgelacht.
    Inzwischen bewirkten die Endorphine das bekannte Wunder, und erfüllt von dem Gedanken, dass sich alles regeln lassen würde, lief ich die Marshalsea Road hinab, bog aus irgendeinem Grund am Redcross Way noch einmal ab und suchte nach dem Fluss und dem schnellsten Weg zurück.
    Plötzlich fiel mein Blick auf ein nie zuvor gesehenes schmiedeeisernes Tor zu meiner Linken. Dutzende von bunten Bändern und Papierfetzen baumelten an den Gitterstäben, doch als ich den Blick daran herunterwandern ließ und schließlich auf den Boden sah, löste sich meine endorphinbedingte Euphorie in Wohlgefallen auf.
    Ein zweiter Blick machte mir deutlich, dass mich meine Augen nicht getrogen hatten. Direkt neben meinem Fuß auf dem dunklen Gehweg lag wirklich eine Hand. Sie war klein und lag geöffnet da, als warte sie darauf, dass irgendein Passant ihr ein paar Münzen gab.

3
    Die Hand ging über in ein dünnes Handgelenk, und die Fingerspitzen sahen aus, als wären sie verbrannt. Ich zwang mich, zwei Finger an die kalte Haut zu legen, spürte aber keinen Puls. Also spähte ich unter dem Tor hindurch und sah, dass der Körper kaum zwei Handbreit neben mir unter einer schwarzen Plane lag. Trotzdem war es viel zu dunkel, um zu sagen, ob das tote Wesen männlich oder weiblich war. Meine Gedanken überschlugen sich. Vielleicht war der Killer ja noch in der Nähe und beobachtete mich. Nirgends war ein Mensch zu sehen, außer einer Reihe leerstehender Bürogebäude und einer verlassenen Lagerhalle gab es in der Straße nichts. Das nächste Gebäude, hinter dessen Fenstern Lichter brannten, lag hundert Meter vor mir, vielleicht rannte ich besser, so schnell es ging, zum Marshalsea Pub zurück. Ich sah mich ängstlich um, zog mein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf der Polizei.
    Eine Frau mit einer ruhigen Stimme versprach mir, sofort einen Krankenwagen loszuschicken, und fügte hinzu: »Sie können so lange in der Leitung bleiben, wenn Sie wollen.« Sie klang fürsorglich, wie eine dralle Frau mittleren Alters, die mit einer Tasse Tee an ihrem Schreibtisch saß.
    Aber es gelang mir nicht, meine Gedanken in Sätze umzuformen, also dankte ich ihr nur, bevor ich mein Handy wieder in die Tasche schob. Die Kälte vom Bürgersteig kroch über meine Beine bis hinauf in meinen Rücken, doch aus irgendeinem Grund wollte ich den Leichnam nicht allein lassen, auch wenn die Frage, ob und, wenn ja, wer ihm hier jetzt noch Gesellschaft leistete, wahrscheinlich nicht von mindestem Interesse für ihn war.
    Es fühlte sich wie Stunden an, bis die Polizei endlich erschien. Bis dahin hatte ich mir alle Gründe dafür aufgezählt, aus denen vielleicht eine Leiche auf einem verlassenen Grundstück hier in Southwark lag. Vielleicht hatte irgendjemand Streit mit einer Gang gehabt, oder ein Teenager, der von zu Hause weggelaufen war, war eingeschlafen und hatte deshalb die todbringende Kälte nicht bemerkt. Meine Hände hatten aufgehört zu kribbeln und waren inzwischen völlig

Weitere Kostenlose Bücher