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Im Totengarten (German Edition)

Im Totengarten (German Edition)

Titel: Im Totengarten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Rhodes
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Visitenkarte aus der Jackentasche und hielt sie mir hin. Neben seinem Namen und seiner Berufsbezeichnung – Gareth Wright-Phillips, Kreativitätstrainer – waren darauf in schlichten grünen Buchstaben seine Kontaktdaten vermerkt.
    »Schicken Sie mir einfach eine Mail, wenn Sie Maries Gedichte lesen wollen.«
    Ich sah ihm hinterher, als er mit ausholenden, selbstbewussten Schritten den Korridor hinunterging, und Meads verfolgte grinsend, wie ich mich nach einem Augenblick zusammenriss.
    »Wollen Sie mitkommen?«, fragte ich ihn.
    »Nein danke.« Er schüttelte vehement den Kopf. »Ich warte lieber hier.«
    Marie Benson war beinahe aufgekratzt, als ich den Raum betrat. »Schön, Sie zu sehen, Dr. Quentin. Unser letztes Plauderstündchen hat mir Spaß gemacht, und ich bekomme heutzutage nicht besonders oft Besuch. Aber wo ist Sergeant Alvarez?«
    »Ich fürchte, er hat anderweitig zu tun.«
    »Schade, aber ich bin sicher, dass er dann eben wann anders kommen wird.«
    Ich fragte mich, weshalb sie sich so sicher war, dass Alvarez versessen darauf war, sie noch einmal zu sehen. Offenkundig hatte sie sich weniger auf meinen als vielmehr auf seinen Besuch gefreut. Es fällt mir schwer, zu sagen, was genau ich an ihrer Gesellschaft als derart beunruhigend empfand. Vielleicht dass sie so völlig reglos war. Sie war das Gegenteil von einem Zappelphilipp, sparte jeden Tropfen Energie und saß oft minutenlang vollkommen unbeweglich da. Nur ihr Blick flatterte beständig durch den Raum, wie um irgendwas zu finden, was sie sogar mit ihren schlechten Augen sah.
    »Ich denke, Sie könnten den Fall für uns lösen, wenn Sie wollten, Marie«, fing ich an.
    Völlig unerwartet erstrahlte ihr seltsames Lächeln, so, als hätte sie den Schalter einer Lampe umgelegt. In jüngeren Jahren hatte dieses Lächeln sicher überwältigend gewirkt. »Es gibt nicht viel, was ich von hier aus lösen kann.«
    »Was haben Sie heute geschrieben?«, fragte ich.
    Sie schaltete ihr Lächeln wieder aus, als hätte ich ein ganz privates Thema angerührt. »Ein kleines Gedicht. Aber es war bestimmt nicht gut.«
    Ich versuchte, mir vorzustellen, wie sie ihre Gedichte einem Publikum vorlas. Bereits ihre raue Kettenraucherstimme zöge die Menschen wahrscheinlich in ihren Bann. »Aber Sie arbeiten gern mit Gareth, stimmt’s?«
    »Er ist wunderbar.« Während einer Sekunde entspannte sich ihr Gesicht. »Ein echter Seelenverwandter. Ich könnte den ganzen Tag lang mit ihm reden.«
    Ich hatte das Gefühl, als könnte sie stundenlang von Gareth schwärmen, weshalb ich sie eilig unterbrach. »Hören Sie, Marie, Sie haben gesagt, dass ich Sie besuchen soll. Worüber wollten Sie mit mir reden?«
    »Das wissen Sie genau.« Sie sah mich mit einem verschlagenen Lächeln an.
    Vielleicht hätte ich mir ein paar neue Geschichten über grauenhafte Mordfälle ausdenken sollen, nur um ihre Reaktion zu sehen. Dann hätte sie die Maske fallen lassen und nicht vor mir verbergen können, wie erfreut sie war.
    »Ich weiß nicht, wie die Polizei mit den Ermittlungen vorankommt«, meinte ich. »Aber ich habe diese Woche Suzanne Wilkes’ Ehemann besucht. Sie kannten Suzanne, nicht wahr? Sie war in den letzten ein, zwei Jahren jede Woche in Ihrem Heim.«
    »Eine schreckliche Geschichte.« Sie setzte ein einfältiges Lächeln auf. »Ich habe in den Nachrichten davon gehört. Er muss total fertig sein.«
    Ich musste selbst ein Lächeln unterdrücken. Psychopathen sind tatsächlich unglaublich geschickt. Sie trainieren sich richtiggehend an, passend zu reagieren, bis sie sämtliche Emotionen simulieren können, die man sich nur denken kann. Trauer, Mitleid, Scham. Die meisten von ihnen haben ein unglaublich großes Repertoire.
    »Und Suzanne ist die Verbindung zwischen uns, nicht wahr? Sie und Ray haben sie gekannt, und ihre Leiche wurde gegenüber meiner Wohnung abgelegt.«
    »Sie ist nicht das Einzige, was uns verbindet.« Sie blickte mich an, als hätte sie mit einem Mal die Fähigkeit, zu sehen, zurückerlangt. »Es gibt da noch was anderes.«
    »Ach ja?«
    »Sie werden früh genug erfahren, was«, klärte sie mich grinsend auf.
    »Warum erzählen Sie es mir nicht jetzt sofort?«
    »Dann würden Sie ja nicht noch mal zurückkommen, um mich zu sehen.« Sie flatterte mit ihren Lidern und wandte sich dann ab. »Arme kleine Suzanne.«
    Hätte ich die Augen zugemacht, hätte sie mich beinahe überzeugt. Ihr Ton war voller Mitgefühl. Ihr Gesichtsausdruck jedoch verriet sie, und ich

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