0327 - Wer die Blutfrau lockt
Die zweiundzwanzigjährige Frau mit der hochgewachsenen und doch fast zierlich wirkenden Gestalt mußte allen Mut zusammennehmen, um vorwärts zu gehen. Der leichte Nachtwind ließ ihre schulterlangen, blonden Haare wehen und die blaugrünen Augen durchdrangen die Dunkelheit. In der rechten Hand hielt sie einen kleinen Koffer, in dem sich ein Hammer und ein angespitzter Pflock aus Eichenholz befanden. Dazu noch verschiedene andere Werkzeuge, um die Tür der Gruft zu öffnen, falls es dem Vampir gelang, an ihr vorbei hinein zu kommen. An einem dünnen Faden trug sie ein handgroßes Kreuz um den Hals, das sie erheben wollte, wenn der Vampir sie angriff.
Marenia hatte einen Job als Schreibkraft bei Scotland Yard. Als sie vertretungsweise einige Berichte für Oberinspektor John Sinclair schrieb, hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, daß die alten Erzählungen von Geistern und Gespenstern keine Erfindungen waren. Sie wagte es, in der Kantine den berühmten Geister jäger einmal anzusprechen, und Sinclair war absolut nicht der unnahbare Mann, den sie sich vorgestellt hatte.
Aus dem Gespräch mit John Sinclair konnte Marenia Melford entnehmen, daß die Mächte des Bösen gerade in der heutigen Zeit überall hervorbrechen und nur wenige Menschen da sind, die sich dieser Bedrohung stellen. John Sinclair und sein Kollege und Freund Suko gehören dazu. Sie bildeten eine kleine Spezialabteilung des Yard, die nach Außen hin nicht in Erscheinung trat, weil die Welt und ihre Menschen die Macht des Unheimlichen und Übersinnlichen nicht akzeptiert. Leider hatte Sinclair nicht genügend Zeit, um ihre Fragen vollständig zu beantworten. Er empfahl ihr, die Bücher von Professor Zamorra zu lesen, dem Weltexperten für Parapsychologie, der auf Château Montagne, einem der schönsten Schlösser an der Loire in Frankreich, wohnte und von dort seinen Kampf gegen das Böse und die Mächte der Hölle führte. Obwohl es Professor Zamorra nicht mehr möglich war, an einer Universität einen festen Lehrstuhl zu übernehmen, schrieb er seine Erkenntnisse doch in vielbeachteten Büchern nieder und hielt auch zeitweilig Gastvorlesungen an namhaften Universitäten.
John Sinclair kannte Professor Zamorra ziemlich gut, und sie hatten einige Fälle gemeinsam gelöst. Aber sie kamen kaum dazu, ihre Erfahrungen auszutauschen oder den Versuch zu unternehmen, ihre Kräfte zusammenzulegen. Überall in der Welt tauchten Geister und Gespenster, Vampire und Werwölfe, Ghouls und Dämonen auf. Das Schicksal riß sie in die Vergangenheit der Menschheit oder in andere Dimensionen. Aber es war wie ein Kampf gegen die Hydra, die vielköpfige Schlange, der Herkules, der Held der Antike, gegenüber stand. Für jeden Kopf, den Herkules abschlug, wuchsen zwei andere nach und der Heros von Griechenland besiegte die Bestie nur, weil er die abgeschlagenen Stellen sofort mit einer Fackel ausbrannte.
Aus John Sinclairs Erzählung und den Büchern des Professor Zamorra, die sie mit großem Interesse las, erkannte Marenia, daß die Hölle zum Großangriff gegen die Kraft des Guten ansetzte. Die Legionen des Teufels bekamen ständig großen Zulauf, denn der sündhafte Lebenswandel der heutigen Tage ist der beste Nährboden für den Teufel. Wer aber hinabgewiesen wird in das Reich der Schwefelklüfte, der verstärkt sofort die verdammten Legionen Satans.
So bekamen die Heerscharen des Höllenkaisers LUZIFER ständig neuen Zulauf. Aber in Professor Zamorras Schriften war klar zu erkennen, daß alle Kämpfe nur kleine Scharmützel waren und sich die wirkliche, große Schlacht von Amargeddon erst vorbereitete.
Marenia hatte diesen Begriff in der Bibel gelesen. In der Geheimen Offenbarung des Johannes stand zu lesen, daß sich einst die Heere des Guten und des Bösen bei einem Ort namens Amargeddon zur letzten Schlacht treffen. Danach erfolgt das Jüngste Gericht und das Ende der Welt.
In einem Anhang zu seinem neusten Buch erwähnte Professor Zamorra eine kleine Schar tapferer Männer und Frauen, die in der ganzen Welt lebten und den Kampf gegen die Mächte der Finsternis aufgenommen hatten.
Marenia Melford war begeistert, als sie das las. Sie wünschte sich nichts sehnlicheres, als zu ihnen zu gehören. Doch sie wagte weder John Sinclair anzubieten, seinen Kampf zu unterstützten, noch Professor Zamorra anzuschreiben und zu fragen, was sie selbst tun konnte, um sich gegen das Heer der Hölle zu stellen.
Marenia hörte von den Clans der Weißen Hexen, die überall in
Weitere Kostenlose Bücher