Im Wahn - Moody, D: Im Wahn - Hater
sein?«, faucht sie zurück.
»Also«, erkläre ich ihr und gebe mir größte Mühe, nicht herablassend zu klingen, »wenn Sie sich erinnern, war ich gestern zwanzig Minuten zu früh hier und hab sofort angefangen zu arbeiten. Wenn ich meine fünfzehn Minuten heute abarbeiten soll, kann ich dann meine zwanzig Minuten von gestern damit verrechnen? oder sagen wir einfach, wir sind quitt, und ich schenke Ihnen die restlichen fünf Minuten?«
»Seien Sie nicht albern. Sie wissen genau, dass das so nicht läuft.«
»vielleicht sollte es aber.«
Pest und Hölle, jetzt ist sie echt sauer. Ihr Gesicht ist knallrot, und ich sehe die Adern an ihrem Hals pochen. Es war eine dumme und sinnlose Bemerkung, aber schließlich hab ich recht, oder nicht? Warum sollte es immer nur nach dem Willen der Stadtverwaltung gehen? Jetzt sieht Tina mich finster an; ihr Schweigen macht mich nervös. Hätte ich doch bloß den Mund gehalten. Ich lasse sie den Anglotzwettkampf gewinnen, drehe mich um und wende mich wieder meinem Computer zu.
»Entweder Sie verkürzen Ihre Mittagspause oder arbeiten länger«, sagt sie über die Schulter, während sie sich entfernt. »Mir ist es gleich, wofür Sie sich entscheiden, solange Sie nur die Fehlzeit aufarbeiten.«
Und damit rauscht sie davon. Ich hab keine Chance, ihr zu antworten oder das letzte Wort zu behalten. Schlampe.
Tina macht mich echt nervös, trotzdem starre ich ihren Rücken an und nicht meinen Monitor. Sie sitzt wieder an ihrem Schreibtisch, und Barry Penny, der Büroleiter, ist plötzlich aufgetaucht. In Gegenwart von jemandem, der in der Hackordnung über ihr steht, ist ihre Körpersprache auf einmal vollkommen verändert. Sie lächelt, lacht über seine dümmlichen Witze und probiert ganz allgemein aus, wie tief sie ihm in den Hintern kriechen kann.
Ich dagegen muss ständig daran denken, was ich gerade draußen gesehen habe. Herrgott, wenn ich doch nur den Schirm dieses Typen hätte. Ich wüsste genau, wo ich ihn reinschieben würde.
Manchmal ist es vorteilhaft, wenn man so einen langweiligen und monotonen Job hat. Die Arbeit ist weit unter meinem Niveau, darum muss ich nicht besonders viel darüber nachdenken, was ich tue. Ich kann sozusagen auf
Autopilot arbeiten, und die Zeit vergeht wie im Flug. So ist es den ganzen Vormittag gewesen. Befriedigung bringt mir mein Job keine, aber wenigstens sind die Tage nicht so lang.
Ich arbeite jetzt seit fast acht Monaten hier (mir kommt es länger vor) und für die Stadtverwaltung an sich mindestens dreieinhalb Jahre. In dieser Zeit habe ich mich durch mehr Abteilungen gearbeitet als die meisten Leute während ihrer gesamten Laufbahn. Ich werde andauernd versetzt. Ich habe bei der Seuchenkontrolle gearbeitet, bei der Müllabfuhr und der Straßenlampenwartung, und jetzt bin ich hier gelandet, in der Abteilung für Strafzettelabwicklung oder ASA, wie die verwaltung sie gerne nennt. Die haben die nervtötende Angewohnheit, dass sie ständig versuchen, die Namen der Abteilungen und Titel auf so wenig Buchstaben wie möglich zu reduzieren. Bevor ich hierherversetzt wurde, sagte man mir, dass die ASA eine Entsorgungsstelle für Untüchtige sei, und als ich dann hier war, merkte ich ziemlich schnell, dass das stimmt. In den meisten Abteilungen, wo ich vorher gearbeitet habe, mochte ich entweder den Job, aber nicht die Leute oder umgekehrt. Hier habe ich Probleme mit beidem. Diese Abteilung ist eine Brutstätte für Ärger. Hierher kommen die Autofahrer, die das Pech hatten, dass sie eine Radklammer bekamen, in eine Radarfalle fuhren oder sich einen Strafzettel wegen Falschparkens einhandelten: Sie zetern und brüllen und erheben Einspruch gegen ihr Bußgeld. Früher hatte ich Mitleid mit ihnen und glaubte ihnen ihre Geschichten. Acht Monate hier haben mich verändert. Jetzt glaube ich gar nichts mehr von dem, was mir jemand erzählt.
»Hast du heute Morgen diesen Typen gesehen?«, ertönt
eine Stimme hinter dem Monitor links von mir. Das ist Kieran Smyth. Ich mag Kieran. Er ist zu gut für diese Abteilung, wie die meisten von uns. Er hat Köpfchen und könnte was aus sich machen, wenn er wollte. An der Universität hat er Jura studiert, nahm aber letzten Sommer hier einen Ferienjob an und ging nicht mehr an die Uni zurück. Sagte mir, er habe sich daran gewöhnt, Geld zu verdienen, und könne nicht mehr darauf verzichten. Er kauft sich unglaubliche Mengen Zeug. Jeden Tag kommt er mit Taschen voller Klamotten, DvDs und CDs aus der
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