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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Psychiater auf und deutete auf den Tisch. »Sie werden Kraft brauchen. Ich muss der señora etwas zeigen.«
    Féraud nahm wortlos Platz. Jeanne folgte dem Argentinier in ein Nebengebäude. Fernando entriegelte eine gepanzerte Tür.
    In dem Raum gab es keine Möbel, nur an den Wänden befestigte Gewehrständer, in denen sich nicht etwa Jagdbüchsen, sondern Sturmgewehre befanden. Jeanne war keine begeisterte Schützin, doch sie hatte mehrere Ballistik- und Schießkurse absolviert, um sich im Gebrauch von Schusswaffen zu üben. Die meisten Modelle erkannte sie auf den ersten Blick. Eine Maschinenpistole von Heckler & Koch, Typ MP5 SD6 Kaliber 9 mm x 19 mit holografischer Zieloptik. Ein NATO-Sturmgewehr SIG 551 Commando Kaliber 5,56 mm x 46. Ein Scharfschützengewehr PGM Hecate II, das ein Fahrzeug auf eine Entfernung von zweitausend Metern zum Stehen bringen kann. Eine Vorderschaftrepetierflinte – Pumpgun – Kaliber 12 Mag. von Remington mit extra durchschlagsstarker Munition. Daneben gab es noch halbautomatische Waffen und Revolver sämtlicher Kaliber ...
    Fernando glaubte vielleicht nicht an die »Ungeborenen« der Lagune. Aber er besaß genug Waffen, um ihnen im Fall eines Angriffs die Stirn zu bieten.
    Er näherte sich den Pistolen und nahm eine HK USP Halbautomatik 9 mm x 19 Para aus ihrer Halterung. Ein Klassiker. Er betätigte den Magazinhalter, worauf das Magazin ausgeworfen wurde. Er überprüfte den Inhalt und schob das Magazin wieder hinein.
    Er legte den Zeigefinger auf den Lauf und hielt Jeanne den Kolben hin.
    »Es ist eine halbautomatische Pistole.«
    »Ich weiß«, sagte sie, die Waffe an sich nehmend.
    »Soll ich Ihnen den Rückstoßdämpfer erklären?«
    »Nicht nötig.«
    »Sie geben sie mir wieder, wenn Sie zurückkommen.«
    Jeanne überprüfte die Sicherung und schob die Pistole in den Gürtel in ihrem Rücken. Fernando gab ihr vier weitere Magazine, die sie in die Taschen ihrer Jacke steckte.
    Der Cowboy sah nicht gerade aus wie ein Schutzengel.
    Und dennoch war er es.
    Sie strich eine Strähne zurück, die ihr auf der Stirn klebte.
    »Danke. Hätten Sie diese Waffe nicht lieber dem Mann in der Truppe gegeben?«
    »Das habe ich gerade getan.«

 
    82
    Hier war die Erde flach.
    Vierzig Zentimeter Höhenunterschied auf zehn Kilometer. Der Steuermann des Bootes hatte ihnen diese Zahl genannt. Eine Welt, deren Vegetation wie ein Filter wirkte und den Sauerstoff ständig erneuerte. Die esteros – die Lagunen – reihten sich endlos aneinander. Wasser und Erde vereinigten sich in der Horizontalen. Tiere schlichen unsichtbar zwischen Seerosen und wilden Pflanzen umher. Hier war die Zeit stehengeblieben. Und der Dunst hüllte alles ein, wie um diese erstarrte Welt zu versiegeln.
    Am Bug der lancha , einem spitz zulaufenden Boot, das aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestand und mit einem Motor ausgerüstet war, hatte Jeanne das Gefühl, in ein allzu heißes Bad gestiegen zu sein. Die dicke, sengende Luft regte sich nicht. Jede Geste war wie eine Bewegung in zähem Honig. Man tauchte in diese Atmosphäre ein wie die kleinen Pflanzeninseln in das schwarze Wasser. Sie empfand auch ein Gefühl der Reinheit. Der Steuermann hatte ihnen erklärt, dass diese Sümpfe nur vom Regenwasser gespeist würden. Da es keinen Flusszulauf gebe, seien die Lagunen vor Verschmutzung geschützt.
    Der Mann war ein Gaucho. Diese schlichte Feststellung erinnerte Jeanne daran, dass sie auf ihrer Reise quer durch Argentinien praktisch kein Pferd zu Gesicht bekommen und nicht einen Takt Tango gehört hatte.
    Was diesen Gaucho anlangte, so hatte er nichts mit dem Klischee gemein – breiter Strohhut und mächtiger Schnurrbart. Der Mann war ein Indio mit brauner Haut und Adlernase. Er trug eine rote Baseballkappe, und ein löchriges T-Shirt schlotterte ihm um den Leib. Nur die weite Pluderhose mit bauschigem Schritt und die Lederstiefel erinnerten daran, dass er ein Reiter war.
    Die lancha schlängelte sich durch die toten Arme von Sümpfen. Wasservögel schlichen durch Röhrichtfelder. Darüber ragte der Wald auf – eine Wand, ganz ähnlich derjenigen, die schon den Fluss gesäumt hatte.
    Jeanne beobachtete das Wasser und entdeckte hin und wieder Tiere, die die Farbe und Textur ihrer Umgebung hatten. Grau und Grün. Riesige Kaimane, reglos wie Dolmen. Andere, perfekt getarnte Reptilien, die kaum von Pflanzen zu unterscheiden waren. Schlangen, die mit einem Wassergraben verschmolzen ... Der ungeborene Wald , dachte Jeanne immer

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