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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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überzogen. Ein Büffelschädel wie ein heruntergeklappter Helm vor dem Gesicht. Jeanne sah nur die Augen tief in den Schädellöchern. Er hob abermals seine Waffe. Eine Art schwerer Hammer. Ein Knüppel. Sie konnte sich gerade noch zur Seite rollen und mit der Hand in ihren Rücken greifen.
    Keine Automatik.
    Rausgefallen, als sie stürzte.
    Schon schwang der Knüppel in umgekehrte Richtung. Jeanne, auf allen vieren kriechend, suchte die Pistole im Unterholz. PFFFFFFFFF!!!!! Der Luftzug des Knüppels einige Zentimeter über ihrem Kopf. Da erblickte sie die Pistole, packte sie und drückte auf den Abzug. Nichts. PFFFFF!!!! Der Prügel streifte ihr Gesicht. Sie lud durch. Der Schlächter mit dem Schädelkopf grunzte. In Sekundenschnelle bemerkte sie, dass seine Waffe der zahnbesetzte Kiefer eines Kaimans war.
    Abzug. Nichts. Jeanne schrie auf. Die Sicherung. Sie hatte sie ganz vergessen. Mit dem Daumen nach unten drücken. Noch einmal kehrte der Kiefer zurück, mit der Kraft eines zurückschnellenden Astes.
    Jeanne hielt die Luft an. Zielte. Feuerte. Der Schädel bekam eine dritte Augenhöhle. Jeanne feuerte noch einmal. Und ein weiteres Mal. Drei blutige Löcher im Büffelschädel. Der Angreifer brach zusammen.
    Jeanne wich zurück, noch immer sitzend. Von dem Blut bedeckt, das aus den Schädelöffnungen gespritzt war. Oder war es ihre eigene Wunde? ... Sie wälzte sich erneut zwischen den Sträuchern und feuerte ins Blaue hinein. Eine Kugel verschwendet. Sie stand auf. Vor allem so schnell wie möglich weiter ... Die Schüsse hatten gewiss die anderen alarmiert.
    Sie machte sich wieder auf den Weg. In diesem Tempo würde sie nur drei statt fünf Stunden brauchen. Sie hatte ihre Wunde abgetastet. Oberflächlich. Sie konnte es schaffen. Herrgott, sie konnte es ...
    Die Schneise durch die Wildnis öffnete sich vor ihr. Ein grünroter Tunnel, der stellenweise nur von blassem Schilfrohr gesäumt war. Bald färbte er sich wieder smaragdgrün. Jeanne dachte an ihre Munition. Sie hatte vier Patronen verschossen. Blieben noch zwölf. Die anderen Magazine waren nicht mehr in ihrer Jacke. Sie hatte sie bei einem ihrer Stürze verloren.
    14.00 Uhr.
    Sie riss die Kilometer herunter, ohne nachzudenken. Nur eines beunruhigte sie: Kein einziger Verfolger weit und breit. Was hatten sie vor? Ihr Fallen zu stellen? Wollten sie sie lebend gefangen nehmen?
    15.00 Uhr.
    Sie schöpfte wieder Hoffnung. In ihrem Blut, ihren Muskelfasern, ihren Neuronen zirkulierte ein geheimnisvolles Molekül, das ihre Energie verdoppelte. Sie würde es schaffen. Sie würde ...
    Abrupt blieb sie stehen.
    Da waren sie. Dreißig Meter vor ihr. Sie versperrten den Weg und den Dschungel ringsherum. Sie hatten sich zwischen den Bäumen, den Stümpfen und den Lianen verteilt. Das Haar struppig, das Gesicht von Narben übersät. Sie steckten in Lumpen und trugen den Schmuck primitiver Barbaren. Tierschädel auf dem Kopf, Menschenknochen um den Hals. Kleine getrocknete organische Objekte, auf Lederriemen aufgefädelt, hingen ihnen über die Brust. In dem grünlichen Licht glichen sie Reptilien.
    Jeanne schwenkte ihre Pistole. Die Geste gab ihr eine gewisse Sicherheit – die Gewalt der Zivilisation war der dieser Barbaren überlegen.
    Die Reptilienmenschen rührten sich nicht. Sie hielten grobe Waffen in den Händen, die aus Knochen, Holz oder Stein geschnitzt waren. Jeanne rannte nach rechts und verbarg sich im Unterholz. Sie wusste, dass sie sich nicht von dem Pfad entfernen durfte, aber vielleicht konnte sie ihre Verfolger im dichten Dschungel abhängen und einen großen Bogen schlagen, um dann auf den rettenden Weg zurückzukehren. Träumen durfte sie doch ...
    Sie stürzte im Röhricht. Auf allen vieren kroch sie weiter, planschte durch Tümpel und zwischen Wasserhyazinthen hindurch. Eine halb überflutete Lichtung öffnete sich vor ihr. Sie stand wieder auf. Verlor abermals das Gleichgewicht. Sie taumelte nur noch. Was war hier los?
    Da begriff sie.
    Nicht sie bewegte sich von dem Pfad weg. Der Pfad bewegte sich von ihr weg. Der schwammige Boden glitt unter ihren Füßen fort. Die embalsados . Die schwimmenden Inseln. Sie war mitten in einem dieser sich ständig wandelnden Mäander, von denen ihr Beto erzählt hatte.
    Wie zur Bestätigung erblickte sie zwischen den Baumgruppen weitere Inseln, die dahintrieben. An ihren Ufern standen die Ungeborenen. Ihre Pirogen waren Zungen aus Seerosen und Schilfrohr. Die archaischen Menschen schienen sie steuern zu

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