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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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seine einschmeichelnden Worte ... Aber dann hat Joachim, das Kind aus Campo Alegre, die Oberhand gewonnen. Doch du bist uns entwischt ... Noch am selben Abend sind wir nach Managua geflogen. Was konntest du schon gegen uns ausrichten?«
    »Und warum habt ihr mich später verschont?«
    »Sagen wir ... aus Neugier und auch aus Bewunderung. Als wir dich mit den nicaraguanischen Polizisten bei Manzarena sahen, haben wir uns gesagt, dass du keine gewöhnliche Gegnerin bist.«
    »Aber ich hätte ein Hindernis sein können.«
    »Als die Menschen während der Vorgeschichte Zeichnungen auf Höhlenwänden anfertigten, bezogen sie die Risse, die Unebenmäßigkeiten des Gesteins mit in ihre Fresken ein. Für uns warst du eine solche Unebenmäßigkeit. Wir haben beschlossen, dich zu benutzen, dich in unser Fresko einzubeziehen. Du konntest uns dabei helfen, uns selbst besser kennenzulernen. Einzelheiten unserer Geschichte zu entdecken, die uns selbst unbekannt waren.«
    Ihre Angst wuchs. Sie zitterte am ganzen Leib. Die Wahrheit durchzuckte sie wie ein Blitzstrahl, der in einen Baum fährt.
    »Und jetzt?«
    »Wir sind im Wald eingetroffen, meine Liebe. Dem Ort der Einheit und des Opfers.«
    Eins, zwei, drei ..., zählte Jeanne in ihrem Kopf. Auch sie war zu ihrem Ursprung zurückgekehrt. Seit dem Tod ihrer Schwester war sie für diese Suche ausersehen.
    Das Böse im Wald des Schweigens zur Strecke zu bringen.
    Die Wahrheit in der tiefsten Finsternis zu finden.
    Das schwarze Licht war jetzt da, zwischen ihren Händen.
    »Und dein Volk?«, stammelte sie. »Wo ist es?«
    »Aber es ist da, um mich herum ... Die Ungeborenen ...«
    Nacheinander schlichen Schatten durch die Tür ins Zimmer. Ein einziger Blick genügte ihr, um zu erkennen, dass es sich um einen Schwindel handelte. Das waren keine Frühmenschen, sondern lediglich Verstümmelte, deren Körper von Narben und Wunden übersät, von Laub- und Rindenresten überzogen waren und die sich unbeholfen fortbewegten.
    Einer von ihnen hatte ein Gesicht, das zur Hälfte zertrümmert war. Ein anderer hatte lange Narben auf der aufgedunsenen unteren Gesichtshälfte. Einem dritten hingen gleich einem Backenbart Fleischfetzen herab, und ein Auge hing tiefer als das andere. Es gab Männer und Frauen, die alle gleich entstellt und schmutzig waren. Die Ältesten hatten die meisten Narben. Die Jüngsten litten an Verformungen des Schädels – die ihnen zweifellos gleich an ihren ersten Lebenstagen, wenn die Knochen noch weich sind, beigebracht worden waren. Ihre affenähnlichen Gesichtszüge waren also künstlich modelliert worden.
    Joachim hatte diese primitiven Menschen also selbst erschaffen. Es war eine archaische Maskerade. Jeanne dachte an die Comprachicos aus dem Roman Der lachende Mann von Victor Hugo, die Kinder billig kauften, sie verstümmelten und entstellten, um sie als Monstren auf Jahrmärkten zur Schau zu stellen.
    Diese ganze Geschichte beruhte auf einem kollektiven Wahn. Es hatte nie ein genetisch andersartiges Volk gegeben. Und auch keine spezifische Morphologie. All dies hatte immer nur in dem wahnsinnigen Gehirn Joachims existiert – und in den allzu schwärmerischen Vorstellungen von Nelly Barjac, Francesca Tercia, Niels Agosto, Eduardo Manzarena und Jorge de Almeida, der zweifellos von diesen Geistern des Waldes tief in der Lagune geopfert worden war.
    Die Ungeborenen kamen näher. Jeanne wich zurück. Der schockierende Anblick ihrer vernarbten, schrumpeligen, entstellten Körper in dieser zivilisierten Umgebung war unerträglich. Sie war auf alles gefasst gewesen – einen Hinterhalt im Wald, einen Kampf mit bloßen Händen –, aber nicht darauf.
    »Wer sind sie?«
    »Die Überlebenden der vuelos – der Todesflüge«, flüsterte der alte Palin auf Spanisch. »Der Mensch ist unglaublich zäh. Manche wurden von Kaimanen angefallen, die ihnen große Stücke Fleisch aus dem Leib rissen, und überlebten trotzdem. Sie haben sich sogar fortgepflanzt. Sie sind in den Sümpfen verrückt geworden. Innerhalb weniger Jahre haben sie die gesamte Menschheitsgeschichte bis zu ihren Anfängen durchlaufen. Sie sind wieder zu Barbaren geworden.«
    Féraud ergriff wieder das Wort:
    » Der Mechanismus der Väter , Jeanne. Es sind die Kinder des Bösen. Die Sprösslinge der Angst. Sie sind aus der Gewalt hervorgegangen und kehren dorthin zurück. Das Volk des Thanatos! Das nur Inzest, Vergewaltigung, Vatermord und Kannibalismus kennt ...«
    Auf einmal begriff Jeanne, dass Joachim schon

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