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Im Westen Nichts Neues

Im Westen Nichts Neues

Titel: Im Westen Nichts Neues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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keine Menschen, sie können nicht so furchtbar schreien.
    Kat sagt: »Verwundete Pferde.«
    Ich habe noch nie Pferde schreien gehört und kann es kaum glauben. Es ist der Jammer der Welt, es ist die gemarterte Kreatur, ein wilder, grauenvoller Schmerz, der da stöhnt. Wir sind bleich. Detering richtet sich auf. »Schinder, Schinder! Schießt sie doch ab!«
    Er ist Landwirt und mit Pferden vertraut. Es geht ihm nahe. Und als wäre es Absicht, schweigt das Feuer jetzt beinahe. Um so deutlicher wird das Schreien der Tiere. Man weiß nicht mehr, woher es kommt in dieser jetzt so stillen, silbernen Landschaft, es ist unsichtbar, geisterhaft, überall, zwischen Himmel und Erde, es schwillt unermeßlich an – Detering wird wütend und brüllt: »Erschießt sie, erschießt sie doch, verflucht noch mal!«
    »Sie müssen doch erst die Leute holen«, sagt Kat. Wir stehen auf und suchen, wo die Stelle ist. Wenn man die Tiere erblickt, wird es besser auszuhalten sein. Meyer hat ein Glas bei sich. Wir sehen eine dunkle Gruppe Sanitäter mit Tragbahren und schwarze, größere Klumpen, die sich bewegen. Das sind die verwundeten Pferde. Aber nicht alle. Einige galoppieren weiter entfernt, brechen nieder und rennen weiter. Einem ist der Bauch aufgerissen, die Gedärme hängen lang heraus. Es verwickelt sich darin und stürzt, doch es steht wieder auf.
    Detering reißt das Gewehr hoch und zielt. Kat schlägt es in die Luft. »Bist du verrückt -?« Detering zittert und wirft sein Gewehr auf die Erde. Wir setzen uns hin und halten uns die Ohren zu. Aber dieses entsetzliche Klagen und Stöhnen und Jammern schlägt durch, es schlägt überall durch.
    Wir können alle etwas vertragen. Hier aber bricht uns der Schweiß aus. Man möchte aufstehen und fortlaufen, ganz gleich wohin, nur um das Schreien nicht mehr zu hören. Dabei sind es doch keine Menschen, sondern nur Pferde. Von dem dunklen Knäuel lösen sich wieder Tragbahren. Dann knallen einzelne Schüsse. Die Klumpen zucken und werden flacher. Endlich! Aber es ist noch nicht zu Ende. Die Leute kommen nicht an die verwundeten Tiere heran, die in ihrer Angst flüchten, allen Schmerz in den weit aufgerissenen Mäulern, Eine der Gestalten geht aufs Knie, ein Schuß – ein Pferd bricht nieder, – noch eins. Das letzte stemmt sich auf die Vorderbeine und dreht sich im Kreise wie ein Karussell, sitzend dreht es sich auf den hochgestemmten Vorderbeinen im Kreise, wahrscheinlich ist der Rücken zerschmettert. Der Soldat rennt hin und schießt es nieder. Langsam, demütig rutscht es zu Boden.
    Wir nehmen die Hände von den Ohren. Das Schreien ist verstummt. Nur ein langgezogener, ersterbender Seufzer hängt noch in der Luft. Dann sind wieder nur die Raketen, das Granatensingen und die Sterne da – und das ist fast sonderbar.
    Detering geht und flucht: »Möchte wissen, was die für Schuld haben.« Er kommt nachher noch einmal heran. Seine Stimme ist erregt, sie klingt beinahe feierlich, als er sagt: »Das sage ich euch, es ist die allergrößte Gemeinheit, daß Tiere im Krieg sind.«
    *
    Wir gehen zurück. Es ist Zeit, zu unseren Wagen zu gelangen. Der Himmel ist eine Spur heller geworden. Drei Uhr morgens. Der Wind ist frisch und kühl, die fahle Stunde macht unsere Gesichter grau.
    Wir tappen uns vorwärts im Gänsemarsch durch die Gräben und Trichter und gelangen wieder in die Nebelzone. Katczinsky ist unruhig, das ist ein schlechtes Zeichen. »Was hast du, Kat?« fragt Kropp.
    »Ich wollte, wir wären erst zu Hause.« – Zu Hause – er meint die Baracken.
    »Dauert nicht mehr lange, Kat.«
    Er ist nervös.
    »Ich weiß nicht, ich weiß nicht –«
    Wir kommen in die Laufgräben und dann in die Wiesen. Das Wäldchen taucht auf; wir kennen hier jeden Schritt Boden. Da ist der Jägerfriedhof schon mit den Hügeln und den schwarzen Kreuzen.
    In diesem Augenblick pfeift es hinter uns, schwillt, kracht, donnert. Wir haben uns gebückt – hundert Meter vor uns schießt eine Feuerwolke empor.
    In der nächsten Minute hebt sich ein Stück Wald unter einem zweiten Einschlag langsam über die Gipfel, drei, vier Bäume segeln mit und brechen dabei in Stücke. Schon zischen wie Kesselventile die folgenden Granaten heran – scharfes Feuer – »Deckung!« brüllt jemand – »Deckung!« – Die Wiesen sind flach, der Wald ist zu weit und gefährlich; – es gibt keine andere Deckung als den Friedhof und die Gräberhügel. Wir stolpern im Dunkel hinein, wie hingespuckt klebt jeder gleich hinter

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